8.1 Zur Vertretung von Vereinen
Vereine sind juristische Personen. Sie können daher nur durch ihre Organe handeln. Vereine werden durch jene Personen vertreten, die in den Statuten als Vertretungsbefugte genannt sind.
Wer den Verein nach außen vertritt, muss nach § 3 Abs. 2 Z 7 Vereinsgesetz 2002 den Statuten zu entnehmen sein.
Nach § 158 Abs. 4 BAO sind die Abgabenbehörden für Zwecke der Abgabenerhebung berechtigt, auf automationsunterstütztem Weg Einsicht in das automationsunterstützt geführte zentrale Vereinsregister zu nehmen.
Vereinsbehörde ist die jeweils nach dem in den Statuten angegebenen Vereinssitz zuständige Bezirksverwaltungsbehörde bzw. Bundespolizeidirektion (vgl. § 9 Vereinsgesetz 2002).
Die zur Vertretung des Vereins berufenen Personen haben nach § 80 Abs. 1 BAO alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Weitere derartige Pflichten betreffen etwa
- die Führung von Büchern und Aufzeichnungen,
- die Erfassung der Bareinnahmen mit einer Registrierkasse (§ 131b BAO),
- die Belegerteilungspflicht (§ 132a BAO),
- die Aufbewahrung von Unterlagen im Sinn des § 132 Abs. 1 BAO,
- die (zeitgerechte) Einreichung von Abgabenerklärungen,
- die Beantwortung von Bedenkenvorhalten und von Ergänzungsaufträgen.
Die Vertreter sind befugt, die den Vertretenen zustehenden Rechte wahrzunehmen (§ 80 Abs. 1 BAO). Dazu gehört zB das Recht zur Einbringung von Beschwerden gegen an den Verein gerichtete Bescheide, das Recht auf Akteneinsicht (§ 90 BAO) und auf Parteiengehör (insbesondere nach § 115 Abs. 2 BAO).
Bei der Zustellung von Bescheiden an Vereine ist zu beachten, dass der Verein im Spruch (bzw. im Adressfeld) mit seiner richtigen Bezeichnung genannt wird; der Name des Vereines muss den Statuten zu entnehmen sein (nach § 3 Abs. 2 Z 1 Vereinsgesetz 2002). Es steht der Abgabenbehörde frei, den nach den Statuten zur Vertretung Befugten als Empfänger zu bezeichnen (zB durch „zu Handen“ Vermerk). Notwendig ist dies jedoch nicht. Wird eine bestimmte Person als Empfänger bezeichnet, so hat die Zustellung grundsätzlich nur an diese Person zu erfolgen. Wird lediglich der Verein selbst als Empfänger bezeichnet, so ist es Sache des Zustellers, die Sendung einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen (vgl. § 13 Abs. 3 ZustG).
8.2 Haftung gemäß § 9 BAO
8.2.1 Allgemeines
Die Vertreterhaftung nach § 9 BAO besteht für die den vertretenen Abgabepflichtigen treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Diese Pflicht trifft auch Vertreter von Vereinen. Sie trifft jene Personen, die nach den Statuten zur Vertretung nach außen berufen sind (vgl. zB VwGH 10.9.1998, 96/15/0053; VwGH 29.6.1999, 98/14/0172). Maßgebend ist nicht, wer tatsächlich die Geschäfte des Vereines führt (wer etwa tatsächlich die Vereinsaufzeichnungen führt), sondern wer dazu nach den Statuten berufen ist. Zur Haftung bei (bloß) tatsächlicher Einflussnahme siehe § 9a BAO (Abschnitt 8.2a).
Die Haftung des § 9 BAO setzt voraus:
- Stellung als Vertreter,
- Bestehen einer Abgabenforderung gegen den Vertretenen,
- Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung (Rz 801 ff),
- Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten durch den Vertreter (Rz 807 ff),
- Verschulden des Vertreters (Rz 820 ff) und
- Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Uneinbringlichkeit (Rz 827).
8.2.2 Uneinbringlichkeit
Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung (zB VwGH 8.7.2009, 2009/15/0013; VwGH 17.12.2009, 2009/16/0092; VwGH 28.04.2011, 2011/16/0082; BFG 27.3.2015, RV/2100447/2014). Sie setzt die objektive Uneinbringlichkeit von Abgabenschuldigkeiten im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftungspflichtigen voraus (zB VwGH 19.9.2007, 2007/13/0003; VwGH 17.12.2009, 2009/16/0092).
Uneinbringlichkeit liegt vor, wenn Einbringungsmaßnahmen erfolglos waren oder voraussichtlich erfolglos wären (vgl. zB VwGH 22.9.1999, 96/15/0049; VwGH 27.4.2000, 98/15/0129; VwGH 29.5.2001, 99/14/0277; BFG 22.4.2015, RV/5101247/2014).
Aus der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (über das Vermögen des Vereines) allein ergibt sich noch nicht zwingend die Uneinbringlichkeit (vgl. zB VwGH 22.9.1999, 96/15/0049; VwGH 27.4.2000, 98/15/0129; VwGH 29.5.2001, 99/14/0277).
Uneinbringlichkeit ist im Insolvenzverfahren erst dann anzunehmen, wenn feststeht, dass die Abgabenforderung nicht befriedigt werden kann (zB VwGH 27.4.2000, 98/15/0129). Dies gilt unabhängig davon, ob die Abgabenforderung teilweise oder gänzlich uneinbringlich ist. Bei teilweiser Uneinbringlichkeit darf die Haftungsinanspruchnahme nur für den uneinbringlichen Teilbetrag erfolgen. Ergibt sich nachträglich, dass ein weiterer Teilbeitrag uneinbringlich geworden ist, so kann ein weiterer (diesen neuen Betrag umfassender) Haftungsbescheid erlassen werden. Dies setzt keine Abänderung des bisherigen Haftungsbescheides voraus.
Eine Haftungsinanspruchnahme, die den gesamten offenen Abgabenbetrag umfasst, obwohl nur ein Teil objektiv uneinbringlich ist, ist gesetzwidrig (vgl. zB VwGH 29.6.1999, 99/14/0117). Die Überlegung, eine Minderung der Inanspruchnahme sei im Verfahren über die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid möglich, rechtfertigt eine solche Vorgangsweise nicht. Ebenso wenig gestattet die Vermutung, während des Beschwerdeverfahrens würden weitere Teilbeträge voraussichtlich uneinbringlich werden, eine derartige rechtswidrige Vorgangsweise.
Nach Abschluss des Insolvenzverfahrens ist – mangels gegenteiliger Anhaltspunkte – anzunehmen, dass der in der Insolvenzquote nicht mehr Deckung findende Teil der Abgabenforderung uneinbringlich sein wird (VwGH 26.06.2000, 95/17/0613). Die Abgabenbehörde muss aber das Ende des Insolvenzverfahrens nicht abwarten (vgl. zB VwGH 30.03.1998, 97/16/0501; VwGH 22.09.1999, 96/15/0049).
Aus der Abweisung eines Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens (nach § 71b IO) ergibt sich zweifelsfrei eine solche Uneinbringlichkeit (vgl. zB VwGH 24.10.2000, 95/14/0090). Auch die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach Verteilung des Massevermögens spricht für die Uneinbringlichkeit der nicht entrichteten Beträge (vgl. VwGH 8.3.1991, 89/17/0121; VwGH 26.6.2000, 95/17/0613). Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens (§ 123a IO) spricht für die Uneinbringlichkeit (vgl. VwGH 21.12.1999, 99/14/0041; BFG 4.3.2014, RV/7101162/2013).
8.2.3 Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten
8.2.3.1 Pflichten, maßgebender Zeitpunkt
Haftungsrelevant ist nur, wenn sich die Uneinbringlichkeit aus der Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten ergibt (vgl. zB VwGH 18.10.1995, 91/13/0037, 91/13/0038; VwGH 02.07.2002, 96/14/0076). Die Verletzung anderer Pflichten ist für § 9 BAO nicht haftungsrelevant.
Zu den abgabenrechtlichen Pflichten zählen weder die Pflicht, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen (vgl. zB VwGH 22.09.1999, 96/15/0049; VwGH 15.12.2004, 2004/13/0146), noch die Pflicht, die Entstehung von Abgabenforderungen beim Vertretenen etwa durch Betriebseinstellung zu vermeiden (zB VwGH 17.08.1998, 97/17/0096).
Zu den abgabenrechtlichen Pflichten gehören insbesondere
- die Abgabenentrichtung aus den Mitteln, die der Vertreter verwaltet,
- die Führung gesetzmäßiger Aufzeichnungen (zB VwGH 30.5.1989, 89/14/0043),
- die Erfüllung der Registrierkassen- und Belegerteilungspflicht (§§ 131b und 132a BAO),
- die zeitgerechte Einreichung von Abgabenerklärungen (zB VwGH 30.5.1989, 89/14/0043; VwGH 29.5.2001, 2001/14/0006).
Eine Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten liegt weiters etwa vor, wenn der Vertreter Zahlungserleichterungen (§ 212 BAO) mit der wahrheitswidrigen Behauptung erwirkt, die Einbringlichkeit der Abgabe werde durch den Zahlungsaufschub nicht gefährdet (VwGH 24.10.1990, 90/13/0087).
Die Pflicht des Vertreters, die vom Vertretenen (als Eigenschuldner oder als Haftungspflichtiger) geschuldeten Abgaben zu entrichten, besteht nur insoweit, als hiefür liquide Mittel vorhanden sind (vgl. zB VwGH 20.9.1996, 94/17/0420; VwGH 7.12.2000, 2000/16/0601).
Das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung hat nicht die Abgabenbehörde nachzuweisen; vielmehr hat der Vertreter das Fehlen ausreichender Mittel nachzuweisen (zB VwGH 7.12.2000, 2000/16/0601; VwGH 9.8.2001, 98/16/0348; VwGH 24.2.2010, 2006/13/0110; VwGH 23.3.2010, 2007/13/0137; VwGH 19.3.2015, 2013/16/0200). Diese qualifizierte Mitwirkungspflicht entbindet die Abgabenbehörde nicht von jeglicher Ermittlungspflicht. Die Behörde hat bei entsprechenden Behauptungen und diesbezüglichem Beweisanbot die zur Entlastung des Vertreters angebotenen Beweise aufzunehmen und erforderlichenfalls Präzisierungen abzufordern, jedenfalls aber konkrete Feststellungen über die angebotenen Entlastungsbehauptungen zu treffen (zB VwGH 23.4.1998, 95/15/0145; VwGH 20.4.1999, 94/14/0147). Ergeben sich aus dem Akteninhalt deutliche Anhaltspunkte für das Fehlen der für die Abgabenentrichtung erforderlichen Mittel, ist die Abgabenbehörde nicht von ihrer Ermittlungspflicht entbunden (VwGH 28.05.1993, 93/17/0049). Ergebnisse derartiger (zB im Rahmen einer abgabenbehördlichen Prüfung durchgeführter) Ermittlungen sind bei der Entscheidung über die Haftungsinanspruchnahme (auch) von Amts wegen zu berücksichtigen.
Der Zeitpunkt, für den zu beurteilen ist, ob der Verein die für die Abgabenentrichtung erforderlichen Mittel hatte, bestimmt sich danach, wann die Abgaben bei Beachtung der Abgabenvorschriften zu entrichten gewesen wären (zB VwGH 27.4.2000, 98/15/0003; VwGH 31.10.2000, 95/15/0137; VwGH 25.11.2009, 2007/15/0277).
Bei Selbstbemessungsabgaben (zB Umsatzsteuervorauszahlungen, Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag) ist maßgebend, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären (zB VwGH 27.4.2000, 98/15/0003; VwGH 31.10.2000, 95/15/0137; VwGH 24.2.2010, 2007/13/0144; VwGH 22.4.2015, 2013/16/0208). Maßgebend ist somit der Zeitpunkt der Fälligkeit der betreffenden Abgabe, unabhängig davon, wann sie bescheidmäßig festgesetzt wird (vgl. zB VwGH 25.10.1996, 93/17/0280; VwGH 25.1.1999, 94/17/0229).
Bei Abgaben, bei denen sich die Fälligkeit aus § 210 Abs. 1 BAO (1 Monat ab Zustellung des Abgabenbescheides) ergibt, wie zB bei der veranlagten Körperschaftsteuer, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der sich aus dem erstmaligen Abgabenbescheid ergebenden Fälligkeit maßgebend (vgl. VwGH 21.5.1992, 88/17/0216).
8.2.3.2 Gleichbehandlungsgrundsatz
Reichen die Mittel des Vereines nicht aus, die offenen Schuldigkeiten zur Gänze zu entrichten, so ist der Vertreter grundsätzlich zur Befriedigung der Schulden im gleichen Verhältnis (anteilig) verpflichtet (Gleichbehandlungsgrundsatz). Er darf hierbei Abgabenschulden nicht schlechter behandeln als die übrigen Schulden (zB VwGH 29.3.2001, 2000/14/0149; VwGH 15.12.2009, 2005/13/0040). Er ist jedoch nicht verpflichtet, den Abgabengläubiger besser als die übrigen Gläubiger zu behandeln (zB VwGH 17.8.1998, 98/17/0038). Die Betrachtung der Gläubigergleichbehandlungen hat zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu erfolgen (zB VwGH 28.2.2014, 2012/16/0001; VwGH 22.4.2015, 2013/16/0123).
Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz bestehen für Abfuhrabgaben, nämlich für
- Lohnsteuer (zB VwGH 22.02.2001, 2000/15/0227; VwGH 08.07.2009, 2009/15/0013; VwGH 05.04.2011, 2009/16/0106),
- Kapitalertragsteuer (zB VwGH 16.2.2000, 95/15/0046) sowie
- für Beträge gemäß § 99 EStG 1988.
Reichen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht aus, hat er die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten (§ 78 Abs. 3 EStG 1988). In solchen Fällen dürfen Löhne somit nicht in voller Höhe ausgezahlt werden und sie sind (wie auch andere Schuldigkeiten) anteilig zu kürzen; die auf den gekürzten Lohnbetrag entfallende Lohnsteuer ist zur Gänze zu entrichten (vgl. zB VwGH 16.2.2000, 95/15/0046).
Die Pflicht zur vorrangigen Entrichtung von Abgaben gilt nur für Abfuhrabgaben, nicht jedoch zB für Umsatzsteuer (vgl. zB VwGH 18.10.1995, 91/13/0037, 91/13/0038; VwGH 26.11.1997, 95/13/0111; VwGH 26.7.2000, 95/14/0015), für Dienstgeberbeiträge (VwGH 25.1.2000, 96/14/0080) und für veranlagte Körperschaftsteuer.
Eine Verletzung der Gleichbehandlung von Gläubigern kann sich nicht nur bei Abzahlung bereits bestehender Verbindlichkeiten ergeben, sondern auch bei Barzahlung neuer Materialien (VwGH 7.9.1990, 89/14/0132) oder laufender Ausgaben, wie zB für Miete (VwGH 25.1.1999, 97/17/0144) und Strom (VwGH 10.9.1998, 96/15/0053). Auch eine vorrangige Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen verletzt die Pflicht zur Gleichbehandlung aller Gläubiger (VwGH 16.12.1998, 98/13/0203).
Eine Pflichtverletzung liegt auch in einem Mantelzessionsvertrag, durch den das Kreditinstitut begünstigt und andere andrängende Gläubiger (zB Abgabengläubiger) benachteiligt werden. Der Abschluss eines solchen Zessionsvertrages ist dann eine haftungsrelevante Pflichtverletzung, wenn der Vertreter zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses damit rechnen musste, durch die Zession der Forderungen dem Vertretenen seine liquiden Mittel zur Berichtigung von Abgabenschulden zu entziehen (zB VwGH 23.1.1997, 95/15/0120). Ein solcher Vertrag ist dem Vertreter dann vorzuwerfen, wenn er es unterlassen hat – insbesondere durch eine entsprechende Vertragsgestaltung – vorzusorgen, dass auch im Fall einer Änderung der Verhältnisse, wenn diese bei Aufwendung entsprechender Sorgfalt als nicht unvorhersehbar zu werten ist, die Bedienung der anderen Schulden (insbesondere der Abgabenschulden) nicht durch diesen Vertrag beeinträchtigt ist (zB VwGH 22.02.2001, 2000/15/0227; VwGH 29.3.2001, 2000/14/0149; VwGH 17.12.2009, 2009/16/0092; VwGH 29.1.2015, 2011/16/0136).
Bei Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erstreckt sich die Haftung des Vertreters nur auf jenen Betrag, um den bei gleichmäßiger Behandlung sämtlicher Gläubiger die Abgabenbehörde mehr erlangt hätte, als sie infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Vertreters tatsächlich bekommen hat (zB VwGH 24.10.2000, 95/14/0090; VwGH 29.03.2001, 2000/14/0149; VwGH 24.06.2010, 2009/16/0206). Allerdings obliegt dem Vertreter der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger – bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits – an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre (zB VwGH 22.09.1999, 96/15/0049; VwGH 23.03.2010, 2010/13/0042, 0044). Die pauschale Behauptung einer Gleichbehandlung aller Gläubiger reicht nicht (VwGH 22.09.1999, 96/15/0049).
Diese erhöhte Mitwirkungspflicht entbindet die Abgabenbehörde nicht von jedweder Ermittlungspflicht (zB VwGH 20.4.1999, 94/14/0147; VwGH 29.3.2001, 2000/14/0149).
Gelingt ein solcher Nachweis nicht, so kann die Haftung für den gesamten uneinbringlichen Abgabenbetrag geltend gemacht werden (zB VwGH 29.03.2001, 2000/14/0149; VwGH 23.03.2010, 2007/13/0137).
8.2.4 Verschulden des Vertreters
Verletzungen abgabenrechtlicher Pflichten berechtigen nur dann zur Haftungsinanspruchnahme, wenn die Verletzung schuldhaft erfolgte. Eine bestimmte Schuldform ist hiefür nicht erforderlich (zB VwGH 22.02.2000, 96/14/0158; VwGH 07.12.2000, 2000/16/0601). Daher reicht leichte Fahrlässigkeit (zB VwGH 31.10.2000, 95/15/0137; VwGH 24.02.2010, 2008/13/0228).
Der Vertreter hat darzutun, weshalb er nicht dafür habe Sorge getragen, dass der Vertretene die Abgaben entrichtet hat, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden darf (zB VwGH 29.05.2001, 99/14/0277; VwGH 9.8.2001, 98/16/0348; VwGH 26.1.2011, 2007/13/0063; VwGH 22.4.2015, 2013/16/0208; VwGH 19.5.2015, 2013/16/0016). In der Regel wird nämlich nur der Vertreter jenen ausreichenden Einblick in die Gebarung des Vertretenen haben, der ihm entsprechende Behauptungen und Nachweise ermöglicht (zB VwGH 29.6.1999, 99/14/0128; VwGH 25.2.2010, 2009/16/0246, AW 2009/16/0041; VwGH 05.04.2011, 2009/16/0106). Der Vertreter hat für die Möglichkeit des Nachweises seines pflichtgemäßen Verhaltens vorzusorgen (zB VwGH 07.9.1990, 89/14/0132; VwGH 23.3.2010, 2010/13/0042, 0044). Ihm obliegt kein negativer Beweis, sondern die konkrete (schlüssige) Darstellung der Gründe, die etwa der rechtzeitigen Abgabenentrichtung entgegenstanden (VwGH 4.4.1990, 89/13/0212; VwGH 27.10.2008, 2005/17/0259, 2006/17/0002). Diese qualifizierte Mitwirkungspflicht entbindet die Abgabenbehörde nicht von jeglicher Ermittlungspflicht (zB VwGH 10.11.1993, 91/13/0181; VwGH 20.4.1999, 94/14/0147; VwGH 27.4.2005, 2004/14/0030).
Hat der Vertreter Dritte mit der Erfüllung abgabenrechtlicher Verpflichtungen betraut, ohne sich weiter darum zu kümmern, ob diese Verpflichtungen auch erfüllt werden, liegt eine schuldhafte Pflichtverletzung vor (zB VwGH 26.6.2000, 95/17/0612). Kontrollen haben in solchen zeitlichen Abständen zu erfolgen, die es ausschließen, dass dem Vertreter Steuerrückstände verborgen bleiben (zB VwGH 26.5.1998, 97/14/0080; VwGH 26.6.2000, 95/17/0612). Dies gilt auch, wenn ein Wirtschaftstreuhänder mit den Abgabenangelegenheiten betraut ist (zB VwGH 22.12.1997, 93/17/0405; VwGH 19.11.1998, 98/15/0159; VwGH 29.5.2001, 2001/14/0006).
Wird ein Vertreter an der Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten gehindert, so hat er die Behinderung der Ausübung seiner Funktion abzustellen und – wenn sich dies als erfolglos erweist – sein Funktion niederzulegen. Tut er dies nicht, so ist ihm ein relevantes Verschulden anzulasten. Dies gilt auch dann, wenn sich der Vertreter schon bei der Übernahme der Funktion mit einer Beschränkung seiner Befugnis für einverstanden erklärt und dabei in Kauf genommen hat, dass ihm die Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen unmöglich gemacht wird (zB VwGH 29.06.1999, 98/14/0172; VwGH 11.03.2010, 2010/16/0028).
Rechtsunkenntnis in buchhalterischen und steuerrechtlichen Belangen vermag den Vertreter nicht zu exkulpieren (zB VwGH 25.02.2010, 2009/16/0246, AW 2009/16/0041); wer trotz Rechtsunkenntnis Erkundigungen unterlässt, handelt zumindest fahrlässig (zB VwGH 29.06.1999, 99/14/0128).
Sind bei einer Mehrheit von Vertretern die Aufgaben verteilt, bewirkt dies nicht, dass die nicht mit Abgabenangelegenheiten betrauten Vertreter sich um die Tätigkeit des damit betrauten Vertreters nicht mehr zu kümmern brauchen. Jedem Vertreter obliegt die Überwachung der anderen (vgl. zB VwGH 21.5.1992, 88/17/0216). Der Umfang der Überwachungspflicht hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (VwGH 18.11.1991, 90/15/0123).
Eine Geschäftsverteilung kann einen Vertreter exkulpieren, wenn er sich nach Lage des Falles auf den intern für Abgabenangelegenheiten zuständigen Vertreter verlassen durfte. Dies gilt jedoch nicht, wenn für ihn Anlass zur Annahme bestand, dass der intern zuständige Vertreter seinen Aufgaben nicht oder unvollständig nachkommt (VwGH 26.1.1982, 81/14/0083, 81/14/0169).
Primär ist der Vertreter zur Haftung heranzuziehen, der mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut ist (vgl. zB VwGH 20.9.1996, 94/17/0122; VwGH 25.1.1999, 94/17/0229). Kommen mehrere Vertreter als Haftungspflichtige in Betracht, ist die Ermessensentscheidung, wer von ihnen – allenfalls auch in welchem Ausmaß – in Anspruch genommen wird, im Haftungsbescheid entsprechend zu begründen (zB VwGH 20.9.1996, 94/17/0122; VwGH 24.2.1997, 96/17/0066, AW 96/17/0316).
8.2.5 Kausalität
Die Inanspruchnahme der gemäß § 9 BAO bestehenden Haftung setzt voraus, dass die schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten kausal für die Uneinbringlichkeit ist.
Bei schuldhafter Pflichtverletzung darf die Abgabenbehörde mangels dagegen sprechender Umstände annehmen, dass die Pflichtverletzung Ursache der Uneinbringlichkeit ist (zB VwGH 16.12.1999, 97/15/0051; VwGH 20.6.2000, 98/15/0084; VwGH 30.6.2010, 2007/13/0047; VwGH 28.2.2013, 2012/16/0029; VwGH 19.5.2015, 2013/16/0016).
8.2.6 (Zeitlicher) Umfang der Haftung
Die Vertreterhaftung besteht insbesondere für Abgaben, deren Zahlungstermin (zB Fälligkeitszeitpunkt) in die Zeit der Vertretertätigkeit fällt. Sie besteht aber auch für noch offene Abgabenschuldigkeiten, deren Zahlungstermin bereits vor der Tätigkeit des betreffenden Vertreters gelegen ist (zB VwGH 12.11.1997, 95/16/0155; VwGH 07.12.2000, 2000/16/0601; VwGH 20.01.2010, 2009/13/0019).
Die Möglichkeit der Geltendmachung der Haftung erlischt nicht dadurch, dass der Vertreter seine Tätigkeit zurücklegt. Entscheidend ist, wann der Haftungstatbestand vom Vertreter verwirklicht ist. Die Geltendmachung der Haftung kann auch nach Beendigung seiner Tätigkeit erfolgen (vgl. zB VwGH 28.10.1998, 97/14/0160; VwGH 16.12.1999, 97/15/0051).
Die Haftung kann auch nach Auflösung des Vereines geltend gemacht werden (vgl. zB VwGH 29.6.1999, 98/14/0171).
8.2a Haftung nach § 9a BAO
Die in § 9a Abs. 2 BAO normierte Haftung besteht ab 1. Jänner 2013. Sie kommt erstmals für ab diesem Zeitpunkt erfolgte Verletzungen der Pflichten des § 9a Abs. 1 BAO in Betracht (zB BFG 12.5.2014, RV/3100357/2013).
Soweit Personen auf die Erfüllung der Pflichten der Abgabepflichtigen und der in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter tatsächlich Einfluss nehmen, haben sie diesen Einfluss dahingehend auszuüben, dass diese Pflichten erfüllt werden (§ 9a Abs. 1 BAO).
Solche Personen haften für Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge ihrer Einflussnahme nicht eingebracht werden können.
Die Haftungsbestimmung des § 9a Abs. 2 BAO erweitert die Vertreterhaftung (§ 9 BAO) auf Personen, die entweder faktische Geschäftsführer sind (somit die de facto an der Stelle des Vertreters die abgabenrechtlichen Pflichten des Vertreters bzw. die abgabenrechtlichen Pflichten des Vertretenen erfüllen bzw. verletzen) oder die den Vertreter dahingehend beeinflussen, dass abgabenrechtliche Pflichten verletzt werden.
8.3 Haftung nach § 11 BAO
Nach § 11 BAO haften bei vorsätzlichen Finanzvergehen und bei vorsätzlicher Verletzung von Abgabenvorschriften der Länder und Gemeinden rechtskräftig verurteilte Täter und andere an der Tat Beteiligte, für den Betrag, um den die Abgaben verkürzt wurden.
Diese Haftung setzt eine rechtskräftige Verurteilung im finanzbehördlichen bzw. im gerichtlichen Finanzstrafverfahren voraus (vgl. VwGH 14.12.1994, 93/16/0011; VwGH 27.1.1999, 98/16/0411). Vor einer solchen Verurteilung darf die Haftung somit nicht geltend gemacht werden.
8.4 Haftung nach § 15 BAO
Die Haftung nach § 15 BAO besteht ua. dann, wenn nach einem Wechsel in der Person desgesetzlichen Vertreters (zB der nach den Statuten zur Vertretung des Vereins befugten Person) der Vertreter erkennt, dass bereits abgegebene Erklärungen zur Festsetzung von Abgaben (zB Umsatzsteuererklärungen gemäß § 21 Abs. 4 UStG 1994) unrichtig oder unvollständig sind oder dass die Einreichung solcher Erklärungen pflichtwidrig unterlassen wurde. Die Haftung für die vorenthaltenen Abgabenbeträge besteht nur dann, wenn der Vertreter den erkannten Verstoß nicht binnen drei Monaten (vom Zeitpunkt der Kenntnis an gerechnet) dem der Abgabenbehörde erster Instanz anzeigt.
Haftungsrelevant sind nur Erklärungen, für die eine Verpflichtung zur Einreichung bestand und die zur Festsetzung von Abgaben eingereicht wurden.
Aus § 15 BAO ergibt sich keine Verpflichtung zur Prüfung der Erklärungen. Der Nachweis für das Erkennen der Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit der Abgabenerklärung obliegt der Abgabenbehörde.
8.4a Haftung nach § 6a KommStG 1993
Im Unterschied zu § 9 BAO ist die nach § 6a Abs. 1 KommStG 1993 bestehende Vertreterhaftung keine echte, jedoch eine erweiterte Ausfallshaftung (VwGH 26.6.2007, 2006/13/0086 sowie BFG 1.4.2016, RV/7400106/2015 zu den gleichlautenden Bestimmungen der §§ 7 Wiener Abgabenordnung und 9 Abs. 5 Wiener Gebrauchsabgabegesetz 1966). Sie besteht insoweit, als Kommunalsteuer infolge schuldhafter Verletzung abgabenrechtlicher oder sonstiger Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden kann, insbesondere im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Solche Schwierigkeiten sind nach der Judikatur des VfGH (VfGH 4.12.1995, B 1404/95) nur erhebliche Schwierigkeiten, die in ihrer Intensität so geartet sind wie die Schwierigkeiten, die sich für das Einbringen der Abgabenforderungen im Falle der Konkurseröffnung ergeben. Daher kommt die Heranziehung zur Haftung nicht bereits bei geringen Schwierigkeiten, etwa bei subjektiver Zahlungsunwilligkeit in Betracht.
Die Haftung nach § 6a Abs. 3 KommStG 1993 ist im Unterschied zu § 9a BAO keine echte, allerdings eine erweiterte Ausfallshaftung. Sie besteht für Kommunalsteuer insoweit, als diese Abgabe infolge der Einflussnahme von Personen auf die Erfüllung der Pflichten der Abgabepflichtigen sowie der in §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden kann, insbesondere im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Im Ermessen liegt die Inanspruchnahme persönlich Haftender auch dann, wenn mehrere Personen (zB Vertreter und tatsächlich Einfluss nehmende Personen) den Haftungstatbestand verwirklicht haben. Daher liegt es auch im (begründungspflichtigen) Ermessen, welche der Haftungspflichtigen für den gesamten Haftungsbetrag (bzw. welche Personen für welche Teilbeträge) mit Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Bei der Ermessensübung sind ua. der Grad des Verschuldens (der haftungspflichtigen Person) sowie ihre wirtschaftlichen Verhältnisse (somit die Einbringlichkeit der Haftungsschuld beim Haftungspflichtigen) zu berücksichtigen.
8.5 Geltendmachung der Haftungen
8.5.1 Ermessen
Die Geltendmachung persönlicher Haftungen hat mit Haftungsbescheid (§ 224 BAO) zu erfolgen. Sie liegt im Ermessen der für die Einhebung der betreffenden Abgabe zuständigen Abgabenbehörde (vgl. zB VwGH 28.10.2009, 2007/15/0100; VwGH 25.03.2010, 2009/16/0104; VwGH 16.10.2014, Ro 2014/16/0066).
Im Ermessen liegt,
- ob die Haftung geltend gemacht wird,
- gegen wen sie geltend gemacht wird (wenn die Haftungsvoraussetzungen bei mehreren Personen verwirklicht sind),
- in welchem Ausmaß dies erfolgt (für den gesamten offenen Betrag oder lediglich für einen Teilbetrag).
Bei der Ermessensübung sind beispielsweise zu berücksichtigen
- der Grundsatz der Subsidiarität (Nachrangigkeit) von Haftungen (vgl. zB VwGH 23.04.1992, 90/16/0196; VwGH 28.10.2009, 2007/15/0100),
- der Grundsatz der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Vollziehung (vgl. zB Art. 126b Abs. 5 B-VG), daher ob der haftungsgegenständliche Betrag nur geringfügig ist und ob er beim Haftungspflichtigen einbringlich wäre,
- der Grundsatz von Treu und Glauben, etwa der Umstand, dass sich der Abfuhrverpflichtete erlassgetreu verhalten hat (vgl. zB VwGH 27.08.2008, 2006/15/0057),
- die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Haftungspflichtigen (VwGH 24.9.1993, 93/17/0055; VwGH 4.11.1994, 94/16/0169, AW 94/16/0029; VwGH 30.3.2000, 97/16/0189),
- Unbilligkeiten angesichts lange verstrichener Zeit (vgl. VwGH 18.10.1995, 91/13/0037, 91/13/0038; VwGH 16.10.2014, Ro 2014/16/0066).
Bei der Vertreterhaftung (§ 9 BAO) ist auch ein Mitverschulden der Abgabenbehörde an der Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgabenschuld zu berücksichtigen (vgl. VwGH 24.6.1982, 81/15/0100; VwGH 26.4.1989, 89/14/0065).
Die Begründung (§ 93 Abs. 3 lit. a BAO) von Haftungsbescheiden hat nicht nur das Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen darzulegen, sondern auch die Ermessensübung zu begründen (vgl. zB VwGH 24.2.1997, 96/17/0066, AW 96/17/0316).
8.5.2 Einhebungsverjährung
Die Erlassung von Haftungsbescheiden ist eine Einhebungsmaßnahme und daher nur innerhalb der Einhebungsverjährungsfrist (§ 238 BAO) zulässig (zB VwGH 24.06.2010, 2010/16/0014; VwGH 22.4.2015, 2013/16/0123).
Diese Frist beträgt fünf Jahre (nach Ablauf des Jahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist). Die Einhebungsverjährungsfrist endet (nach § 238 Abs. 1 BAO) keinesfalls früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe.
Die Einhebungsverjährungsfrist wird durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen. Dazu gehören etwa Mahnungen, Vollstreckungsmaßnahmen und Bewilligungen von Zahlungserleichterungen.
Näheres zur Einhebungsverjährung siehe Richtlinien für die Abgabeneinhebung (RAE Abschnitt 21.).
8.5.3 Haftungsbescheid
8.5.3.1 Zustellung
Die Zustellung von Haftungsbescheiden hat mit Zustellnachweis zu erfolgen. Eine Zustellung zu eigenen Handen wird vielfach nicht erforderlich sein (vgl. zB VwGH 27.11.2000, 2000/17/0100).
Ist eine Zustellungsbevollmächtigung im Haftungsverfahren ausgewiesen, wird in der Regel die Zustellung an den Bevollmächtigten zu erfolgen haben. Die Erlassung von Haftungsbescheiden ist zwar eine im Einhebungsverfahren ergehende Erledigung im Sinn des § 103 Abs. 1 BAO, sodass trotz Vorliegens einer Zustellungsbevollmächtigung eine Zustellung unmittelbar an den Vollmachtgeber zulässig wäre, doch wird dies im Allgemeinen nicht zweckmäßig (im Sinn des § 103 Abs. 1 BAO) sein.
Maßgebend ist, ob die Zustellungsbevollmächtigung im Haftungsverfahren besteht. Der Umstand, dass im Einkommensteuerverfahren des Einkommensteuerpflichtigen eine Zustellungsbevollmächtigung ausgewiesen ist, erlaubt nicht die Zustellung von Abgaben des Vereins betreffenden Haftungsbescheiden an den im Einkommensteuerverfahren ausgewiesenen Vollmachthaber.
8.5.3.2 Akzessorietät der Haftung
Haftungsbescheide sind rechtswidrig, wenn sie nach Erlöschen des betreffenden Abgabenanspruches (zB durch Entrichtung, Löschung oder Nachsicht) ergehen. Daher ist etwa eine Lohnsteuer betreffende Haftungsinanspruchnahme nicht mehr zulässig, wenn der betreffende Abgabenbetrag nach Veranlagung (§ 41 EStG 1988) des Arbeitnehmers entrichtet wurde (vgl. VwGH 13.9.1972, 2218/71; VwGH 10.4.1985, 84/13/0004).
Durch die Bestätigung eines Sanierungsplanes über das Vermögen des Vertretenen erlöschen zwar gegenüber dem Vertretenen die über die Quote hinausgehenden Abgabenschuldigkeiten. Dies wirkt jedoch nicht gegenüber dem (zB gemäß § 9 BAO) Haftungspflichtigen (zB VwGH 22.09.1999, 96/15/0049; VwGH 24.01.2000, 96/17/0404; VwGH 27.09.2000, 95/14/0056). Daher steht die Rechtskraft der Bestätigung eines Sanierungsplanes über das Vermögen des Vereins der Geltendmachung von Haftungsansprüchen (etwa bei der Vertreterhaftung gegenüber dem Vertreter) nicht entgegen.
Die Haftungsgeltendmachung setzt nicht voraus, dass die Bescheide über den Abgabenanspruch, welche die Grundlage für den Haftungsbescheid bilden, bereits formell rechtskräftig geworden sind (VwGH 20.06.2000, 98/15/0084; VwGH 29.03.2007, 2005/15/0015).
Haftungsinanspruchnahmen setzen zwar voraus, dass die betreffenden Abgabenansprüche bereits entstanden (im Sinn des § 4 BAO) sind, jedoch nicht, dass diese Ansprüche gegenüber dem Primärschuldner geltend gemacht worden sind (zB VwGH 30.03.2000, 99/16/0141; VwGH 19.04.2007, 2005/15/0129; VwGH 10.05.2010, 2009/16/0226). Dies ergibt sich ua. aus § 224 Abs. 3 BAO.
8.5.3.3 Parteiengehör
Der Grundsatz des Parteiengehörs ist auch im Haftungsverfahren zu beachten (VwGH 24.5.1984, 84/17/0010).
Nach § 115 Abs. 2 BAO ist den Parteien (somit auch den Haftungspflichtigen) Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben.
Nach § 183 Abs. 4 BAO ist den Parteien vor Erlassung des abschließenden Sachbescheides (somit etwa des Haftungsbescheides) Gelegenheit zu geben, von den durchgeführten Beweisen und vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern.
Hierbei ist den Parteien nicht nur das Ergebnis von Beweisaufnahmen (zB Inhalt einer Zeugenaussage), sondern auch die Beweisquelle, somit etwa die Identität von Auskunftspersonen und Zeugen (VwGH 18.10.1988, 88/14/0092) bekannt zu geben. Das Ergebnis der Beweiswürdigung muss der Partei vor Bescheiderlassung nicht zur Kenntnis gebracht werden (vgl. zB VwGH 16.12.2003, 2002/15/0189; VwGH 28.10.2010, 2006/15/0301).
8.5.3.4 Inhalt des Haftungsbescheides
Haftungsbescheide haben (nach § 224 Abs. 1 zweiter Satz BAO) einen Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die die Haftungspflicht begründet, zu enthalten.
Der Haftungspflichtige ist im Haftungsbescheid aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einem Monat zu entrichten (§ 224 Abs. 1 zweiter Satz BAO).
Die Monatsfrist ist eine Fälligkeitsfrist bzw. (bei Abfuhrabgaben) eine Nachfrist. Wegen des zweifachen Beschwerderechtes des § 248 BAO (Beschwerde gegen den Haftungsbescheid und gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch) ist dem Haftungspflichtigen der Inhalt des Bescheides über den Abgabenanspruch (zB Abgabenbescheid) zur Kenntnis zu bringen. Zweckmäßigerweise hat dies durch Übersendung einer Ablichtung (eines Ausdruckes) dieses Bescheides zu erfolgen.
Die Begründung (§ 93 Abs. 3 lit. a BAO) des Haftungsbescheides hat das Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen darzulegen (bei der Haftung nach § 9 BAO daher ua. die für die Uneinbringlichkeit sprechenden Umstände). Weiters sind die für die Ermessensübung maßgeblichen Umstände und Erwägungen darzustellen (vgl. zB VwGH 06.08.1996, 92/17/0186; VwGH 21.10.1999, 97/15/0088; VwGH 25.03.2010, 2009/16/0104).
8.5.3.5 Rechtsschutz
Nach § 248 BAO kann der Haftungspflichtige nicht nur den Haftungsbescheid mit Beschwerde anfechten, sondern (innerhalb der für den Haftungsbescheid maßgeblichen Beschwerdefrist) auch den Bescheid über den Abgabenanspruch.
Solche Bescheide über den Abgabenanspruch sind vor allem Abgabenbescheide (§ 198 BAO) und Haftungsbescheide (zB an den Verein als Arbeitgeber gerichteter Lohnsteuerhaftungsbescheid gemäß § 82 EStG 1988).
Aus diesem Beschwerderecht ergibt sich ein Rechtsanspruch des Haftungspflichtigen, ihm anlässlich der Erlassung des Haftungsbescheides über den haftungsgegenständlichen Abgabenanspruch Kenntnis zu verschaffen (zB VwGH 18.3.1994, 92/17/0003), und zwar insbesondere über den Grund und die Höhe dieses Abgabenanspruches (vgl. zB VwGH 25.7.1990, 88/17/0235).
Wird dem Haftungspflichtigen anlässlich der Zustellung des Haftungsbescheides nicht auch der Inhalt dieses Bescheides (in der Regel durch Übersendung einer Ablichtung oder eines Ausdruckes) bekannt gegeben, hat er das Recht, diese Bekanntgabe zu beantragen. Ein solcher Antrag auf Mitteilung des dem Haftungspflichtigen noch nicht zur Kenntnis gebrachten Abgabenanspruches hemmt (nach § 245 Abs. 2 BAO) die Beschwerdefrist. Diese Hemmung beginnt (nach § 245 Abs. 4 BAO) mit dem Tag der Einbringung des Antrages und endet mit dem Tag, an dem die Mitteilung zugestellt wird.
Wird die Haftung geltend gemacht, ohne dass vorher ein an den Primärschuldner gerichteter Bescheid über den Abgabenanspruch erlassen wurde, ist in der Beschwerde gegen den Haftungsbescheid auch die Höhe des Abgabenanspruches anfechtbar (vgl. zB VwGH 17.12.1996, 94/14/0148; VwGH 30.03.2006, 2003/15/0125).
Werden sowohl der Haftungsbescheid als auch der Bescheid über den Abgabenanspruch mit Beschwerde angefochten, ist zunächst über die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid abzusprechen (zB VwGH 24.3.2009, 2006/13/0156; VwGH 24.2.2010, 2006/13/0112; VwGH 27.1.2011, 2010/16/0258; VwGH 18.3.2013, 2012/16/0049). Eine Verbindung der beiden Beschwerden gemäß § 267 BAO ist nicht zulässig (vgl. zB VwGH 11.5.2000, 2000/16/0347; VwGH 28.6.2001, 2000/16/0886).
Wird der Haftungsbescheid mit Beschwerdevorentscheidung (§ 263 BAO), mit Beschluss (§ 278 BAO) oder mit Erkenntnis (§ 279 BAO) aufgehoben, so wird die Beschwerde gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch unzulässig. Sie ist daher als unzulässig geworden gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO zurückzuweisen (vgl. VwGH 14.10.1981, 81/13/0081); dies gilt auch dann, wenn die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid nicht meritorisch, sondern mit einer Formalentscheidung erledigt wird.
8.5.3.6 Akteneinsicht (§ 90 BAO)
Nach § 90 BAO hat die Abgabenbehörde den Parteien die Einsicht und Abschriftnahme der Akten oder Aktenteile zu gestatten, deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer abgabenrechtlichen Interessen oder zur Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten erforderlich ist.
Den Anspruch auf Akteneinsicht hat grundsätzlich auch der Haftungspflichtige. Sein Anspruch bezieht sich nicht nur auf die ihn betreffenden Akten (Aktenteile) des Haftungsverfahrens, sondern auch auf Akten (Aktenteile) des Primärschuldners. Letzteres aber nur soweit dies im abgabenrechtlichen Interesse des Haftungspflichtigen liegt. Dies betrifft etwa die Einsichtnahme um festzustellen, ob der haftungsgegenständliche Betrag tatsächlich noch nicht entrichtet wurde oder ob die Einhebungsverjährung unterbrechende Amtshandlungen (§ 238 Abs. 2 BAO) aktenkundig sind. Auch die Einsicht in die für die Höhe des Abgabenanspruches maßgeblichen Unterlagen (zB vom Eigenschuldner eingereichte Abgabenerklärungen einschließlich Beilagen) kann im abgabenrechtlichen Interesse des Haftungspflichtigen sein (etwa bei Anfechtung des Bescheides über den Abgabenanspruch zB des Körperschaftsteuerbescheides).
8.5.4 Einhebung des Haftungsbetrages
8.5.4.1 Sicherstellungsauftrag (§ 232 BAO)
Um einer Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Einbringung von Abgaben zu begegnen, kann die Abgabenbehörde einen Sicherstellungsauftrag (§ 232 BAO) erlassen.
Dies ist gegenüber einem (nicht abfuhrpflichtigen) Haftungspflichtigen erst ab Erlassung des Haftungsbescheides hinsichtlich der haftungsgegenständlichen Abgabe zulässig.
Sicherstellungsaufträge dürfen bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit (§ 226 BAO) erlassen werden; sie sind daher gegenüber dem Haftungspflichtigen nur bis zum Ablauf der mit Zustellung des Haftungsbescheides beginnenden, einen Monat betragenden Zahlungsfrist (Fälligkeitsfrist bzw. Nachfrist) zulässig (vgl. zB VwGH 11.12.1996, 96/13/0048).
Eine Gefährdung oder wesentliche Erschwerung der Einbringung (im Sinn des § 232 BAO) liegt vor, wenn aus der wirtschaftlichen Lage und den sonstigen Umständen des Einzelfalles geschlossen werden kann, dass nur bei raschem Zugriff der Abgabenbehörde die Abgabeneinbringung voraussichtlich gesichert erscheint (zB VwGH 27.8.1998, 98/13/0062; VwGH 29.3.2006, 2004/14/0045; VwGH 30.9.2015, 2012/15/0174).
Solche Umstände liegen insbesondere bei drohendem Insolvenzverfahren, bei Exekutionsführung von dritter Seite, bei Auswanderungsabsicht, bei Vermögensverschiebung ins Ausland oder an Verwandte, bei Vermögensverschleppung und bei dringendem Verdacht einer Abgabenhinterziehung vor (vgl. zB VwGH 17.12.1996, 95/14/0130; VwGH 29.3.2006, 2004/14/0045; VwGH 30.9.2015, 2012/15/0174).
Siehe ergänzend RAE Abschnitt 18.
8.5.4.2 Zahlungserleichterungen (§ 212 BAO)
Auf Ansuchen des Abgabepflichtigen kann die Abgabenbehörde (nach § 212 Abs. 1 BAO) die Abgaben stunden oder die Entrichtung in Raten bewilligen, wenn die sofortige oder die sofortige volle Entrichtung der Abgaben für den Abgabepflichtigen mit erheblichen Härten verbunden wäre und die Einbringlichkeit der Abgabe durch den Aufschub nicht gefährdet wird.
Derartige Zahlungserleichterungen können auch dem mit Haftungsbescheid in Anspruch Genommenen bewilligt werden.
Nach Maßgabe des § 212 Abs. 2 BAO haben zeitgerecht eingebrachte Ansuchen um Zahlungserleichterungen sowie Bewilligungen von Zahlungserleichterungen Stundungszinsen zur Folge (Höhe: pro Jahr 4,5% über dem Basiszinssatz für Bundesabgaben; für Landes- und Gemeindeabgaben 6% pro Jahr).
Randzahl 855: derzeit frei
8.5.4.3 Aussetzung der Einhebung (§ 212a BAO)
Der mit Haftungsbescheid in Anspruch genommene Haftungspflichtige kann nach Maßgabe des § 212a BAO, wenn er den Haftungsbescheid und/oder den Bescheid über den Abgabenanspruch mit Beschwerde angefochten hat, einen Zahlungsaufschub (Aussetzung der Einhebung) hinsichtlich des strittigen Abgabenbetrages beantragen.
Die Aussetzung ist nach § 212a Abs. 2 BAO insbesondere nicht zu bewilligen,
- soweit die Beschwerde nach Lage des Falles wenig erfolgversprechend erscheint sowie
- wenn das Verhalten des Abgabepflichtigen auf eine Gefährdung der Einbringlichkeit der Abgabe gerichtet ist.
Soweit sich der strittige Betrag im Beschwerdeverfahren als rechtmäßig erweist, haben Anträge auf Aussetzung der Einhebung sowie die Bewilligung der Aussetzung Aussetzungszinsen (nach Maßgabe des § 212a Abs. 9 BAO) zur Folge. Die Aussetzungszinsen betragen pro Jahr 2% über dem Basiszinssatz – für Bundesabgaben; für Landes- und Gemeindeabgaben 3% pro Jahr.
Zur Aussetzung der Einhebung siehe ergänzend RAE Abschnitt 4 (zu § 212a BAO).
8.5.4.4 Widmung bei Zahlung des Haftungsbetrages (§ 214 Abs. 7 BAO)
Nach § 214 Abs. 7 BAO kann der Haftungspflichtige bei Zahlung des Haftungsbetrages auf dem Zahlungsbeleg eine Widmung (Verweis auf den Haftungsbescheid) verfügen.
Dies ist für den Fall der nachträglichen Herabsetzung des Haftungsbetrages zweckmäßig. Gewidmete Beträge sind nämlich auf die haftungsgegenständliche Abgabe (auf Rechnung des in Anspruch genommenen Haftungspflichtigen) zu verrechnen. Soweit eine nachträgliche Minderung des Haftungsbetrages (durch Abänderung oder Aufhebung des maßgeblichen Haftungsbescheides oder des betreffenden Bescheides über den Abgabenanspruch) dazu führt, dass die für seine Rechnung zu verrechnenden Beträge die Abgaben, für die er in Anspruch zu nehmen war, übersteigt, ist der übersteigenden Betrag durch Umbuchung aus der Verbuchung der Gebarung (auf dem Abgabenkonto des Vertretenen) herauszulösen. Das sich hieraus ergebende Guthaben ist nach Maßgabe des § 239 BAO (an den Haftungspflichtigen) auf Antrag oder von Amts wegen zurückzuzahlen.
Eine Verrechnungsweisung (§ 214 Abs. 4 BAO) des Haftungspflichtigen hat auch die Wirkung einer Widmung im Sinn des § 214 Abs. 7 BAO.
8.5.4.5 Säumniszuschläge (§ 217 BAO)
Werden die haftungsgegenständlichen Abgaben nicht bis zum Ablauf der Zahlungsfrist entrichtet, sind nach Maßgabe des § 217 BAO Säumniszuschläge verwirkt.
Solche Säumniszuschläge sind gegebenenfalls auch gegenüber dem Haftungspflichtigen festzusetzen (allerdings nur – weil für denselben Abgabenanspruch eine mehrfache Säumniszuschlagsvorschreibung unzulässig ist – soweit keine Säumniszuschläge gegenüber dem Primärschuldner verwirkt sind).
Der Haftungspflichtige ist hinsichtlich ihm gegenüber entstandener Ansprüche auf Säumniszuschläge berechtigt, nach § 217 Abs. 7 oder 9 BAO eine Nichtfestsetzung oder Herabsetzung von Säumniszuschlägen bzw. eine Aufhebung von Säumniszuschlagsbescheiden zu beantragen.
Der Antrag auf Nichtfestsetzung von Säumniszuschlägen kann übrigens auch vor Erlassung der Säumniszuschlagsbescheide gestellt werden. Er kann daher beispielsweise bereits in der Schlussbesprechung einer Lohnsteuerprüfung (§ 86 Abs. 1 EStG 1988) eingebracht werden. Ist er gerechtfertigt, so hat die Festsetzung der betreffenden Säumniszuschläge zu unterbleiben.
§ 217 Abs. 7 BAO betrifft den Fall, dass kein grobes Verschulden an der Säumnis bei der Nichtentrichtung bzw. der verspäteten Entrichtung der Abgabenschuldigkeit vorliegt.
Grobes Verschulden liegt vor, wenn das Verschulden nicht mehr als leichte Fahrlässigkeit anzusehen ist. Eine (lediglich) leichte Fahrlässigkeit liegt vor, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (zB VwGH 20.5.2010, 2008/15/0305; VwGH 6.4.2016, Ro 2016/16/0007).
(Grobem) Verschulden des Vertretenen gleichzuhalten ist Verschulden des Parteienvertreters bzw. des Organs einer juristischen Person. Ist die Fristversäumung auf Verhalten des Arbeitnehmers der Partei oder eines Boten zurückzuführen, so ist deren Verschulden bedeutungslos. Entscheidend ist diesfalls, ob der Partei selbst (ihrem Organ, ihrem Vertreter) ein grobes Verschulden (insbesondere grobes Auswahl- oder Kontrollverschulden) anzulasten ist (vgl. zB VwGH 20.5.2010, 2008/15/0305; VwGH 6.4.2016, Ro 2016/16/0007).
Bedient sich ein Abgabepflichtiger für die Überweisung einer Abgabe eines in der Regel verlässlichen Kreditinstituts und führt dieses Kreditinstitut die Überweisung verspätet durch, so liegt kein grobes Verschulden des Abgabepflichtigen vor.
Werden Selbstberechnungsabgaben (zB Lohnsteuer, Dienstgeberbeiträge, Kommunalsteuer, Umsatzsteuervorauszahlungen) zeitgerecht in der selbst berechneten Höhe entrichtet, erweist sich aber die Selbstberechnung als nicht richtig, so ist für § 217 Abs. 7 BAO ausschlaggebend, ob die Unrichtigkeit der Selbstberechnung grob verschuldet war. Dies wird nicht der Fall sein, wenn der Selbstberechnung eine vertretbare Rechtsansicht zugrunde gelegen ist (VwGH 6.4.2016, Ro 2016/16/0007). Daher wird grundsätzlich kein grobes Verschulden anzunehmen sein, wenn der Selbstberechnung eine Rechtsauskunft der für die Erhebung der betreffenden Abgabe zuständigen Abgabenbehörde zugrunde liegt.
§ 217 Abs. 8 BAO gilt bei nachträglicher Herabsetzung der für den Säumniszuschlag maßgeblichen Abgabenschuld (zB durch den Haftungsbescheid oder den Bescheid über den Abgabenanspruch betreffende stattgebende Beschwerdeerledigung).
§ 217 Abs. 9 BAO ist anwendbar im Fall der nachträglichen rückwirkenden Zuerkennung oder Verlängerung von Zahlungsfristen (zB bei Stattgabe einer Beschwerde gegen die Abweisung eines Stundungsansuchens oder bei Änderung des Fälligkeitszeitpunktes in einer den Haftungsbescheid betreffenden Beschwerdevorentscheidung).
Diese Anträge sind innerhalb der den Säumniszuschlag betreffenden Frist der Bemessungsverjährung zu stellen. Der Antrag kann auch in der Beschwerde gegen den Säumniszuschlagsbescheid gestellt werden (zB UFS 31.08.2007, RV/0156-K/06); ebenso etwa im Vorlageantrag (UFS 28.03.2011, RV/0108-L/10). Wird der Antrag vor Erledigung der Beschwerde gestellt, so ist er bei der Sachentscheidung über die Beschwerde (zB stattgebende Beschwerdevorentscheidung) zu berücksichtigen. Ein gesonderter bescheidmäßiger Abspruch über den Antrag hat nur dann zu erfolgen, wenn keine meritorische Beschwerdeerledigung in Betracht kommt (zB weil die Beschwerde nicht fristgerecht eingebracht wurde) bzw. wenn keine Beschwerde (vor Abspruch über den Antrag) eingebracht wurde.
Die Antragsrechte nach § 217 Abs. 7 und 9 BAO stehen dem Haftungspflichtigen auch dann zu, wenn die Säumniszuschläge gegenüber dem Primärschuldner vorgeschrieben wurden und der Haftungsbescheid (dem § 7 Abs. 2 BAO zufolge) auch die betreffenden Säumniszuschläge umfasste.