9.2.4 Zeitliche Aspekte
3819
Der Investitionsfreibetrag kann nur im Jahr der Anschaffung oder Herstellung des begünstigten Wirtschaftsgutes geltend gemacht werden. Für die Herstellung ist der Zeitpunkt der Fertigstellung, für die Anschaffung der Zeitpunkt der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht maßgeblich (siehe Rz 2166; bei beweglichen Wirtschaftsgütern daher idR deren Übergabe). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Geltendmachung des Investitionsfreibetrages ist damit im Unterschied zur Absetzung für Abnutzung nicht die Inbetriebnahme des jeweiligen Wirtschaftsgutes.
3820
Wurde für ein Wirtschaftsgut ein Investitionsfreibetrag geltend gemacht und fallen im Zusammenhang mit diesem Wirtschaftsgut in einem nachfolgenden Wirtschaftsjahr nachträgliche Anschaffungs- oder Herstellungskosten an, sind diese im Wirtschaftsjahr, in dem sie anfallen, für Zwecke des Investitionsfreibetrages zu berücksichtigen.
Nachträgliche Änderungen (Erhöhungen, Verminderungen) der ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsgutes, für das der Investitionsfreibetrag geltend gemacht wurde, stellen hingegen rückwirkende Ereignisse iSd § 295a BAO dar und sind im Jahr der ursprünglichen Anschaffung oder Herstellung für Zwecke des Investitionsfreibetrages zu berücksichtigen (vgl. Rz 3718 zum GFB). Nachträgliche Verminderungen der ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten ergeben sich bspw. durch die Gewährung von Rabatten, Skonti oder auch Gewährleistungen, weiters durch einen Nachlass des Kaufpreises oder anderer Bestandteile der Anschaffungs- oder Herstellungskosten.
Zum Fristenlauf im Falle von nachträglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten sowie im Falle von nachträglich geänderten Anschaffungs- oder Herstellungskosten für Zwecke der Mindestnutzungsdauer siehe Rz 3827.
3821
Erstreckt sich die Anschaffung oder Herstellung von Anlagegütern über mehr als ein Wirtschaftsjahr, kann der Investitionsfreibetrag bereits von aktivierten Teilbeträgen der Anschaffungs- oder Herstellungskosten, die auf das einzelne Wirtschaftsjahr entfallen, geltend gemacht werden (§ 11 Abs. 4 EStG 1988). Die Geltendmachung des Investitionsfreibetrages im Hinblick auf aktivierte Teilbeträge setzt jedoch voraus, dass nach Maßgabe der unternehmensrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (§ 5 Abs. 1 EStG 1988) bzw. nach allgemeinen steuerlichen Grundsätzen (§ 4 Abs. 1 und Abs. 3 EStG 1988) eine entsprechende Aktivierung vom Steuerpflichtigen auch tatsächlich vorgenommen wurde.
Der Steuerpflichtige hat somit ein Wahlrecht, ob er den Investitionsfreibetrag erst im Jahr des Abschlusses des Investitionsvorgangs von den gesamten Anschaffungs- oder Herstellungskosten geltend macht oder ob er den Investitionsfreibetrag bereits von den aktivierten Teilbeträgen berechnet.
Beispiel:
Nimmt der Steuerpflichtige bei einem vierjährigen Herstellungsvorgang im dritten Herstellungsjahr einen Investitionsfreibetrag von den Teilherstellungskosten dieses Jahres vor, dann hat er sich für die Geltendmachung von den jeweiligen Teilherstellungskosten entschieden. Für die in den abgelaufenen Jahren entstandenen Teilherstellungskosten kann der Investitionsfreibetrag im dritten Jahr nicht mehr nachgeholt werden, weil dem Steuerpflichtigen infolge der im dritten Herstellungsjahr vorgenommenen Geltendmachung des Investitionsfreibetrages von den Teilherstellungskosten keine (vollen) Herstellungskosten mehr für einen Investitionsfreibetrag zur Verfügung stehen und er daher auch im Jahr der Fertigstellung nur mehr von den Teilherstellungskosten dieses vierten Wirtschaftsjahres einen Investitionsfreibetrag geltend machen kann.
Wurde im Falle der Betriebsübertragung vom Rechtsvorgänger von der Möglichkeit der Geltendmachung des Investitionsfreibetrages für aktivierte Teilbeträge Gebrauch gemacht, ist der Rechtsnachfolger insoweit daran gebunden; eine Geltendmachung des Investitionsfreibetrages auf die gesamten Anschaffungs- oder Herstellungskosten bei Abschluss der Investition durch den Rechtsnachfolger kommt diesfalls nicht in Betracht.
3822
Der Investitionsfreibetrag kann erstmalig für Wirtschaftsgüter in Anspruch genommen werden, bei denen der Zeitpunkt der Anschaffung oder Herstellung (Rz 3819) nach dem 31. Dezember 2022 liegt. Damit sind auch in Fällen, in denen bereits vor dem 1. Jänner 2023 Teilbeträge der Anschaffungs- oder Herstellungskosten aktiviert worden sind, die gesamten Anschaffungs- oder Herstellungskosten für den Investitionsfreibetrag maßgeblich.
Im Falle eines abweichenden Wirtschaftsjahres kann für Anschaffungen und Herstellungen, die nach dem 31. Dezember 2022 erfolgen, der Investitionshöchstbetrag für das abweichende Wirtschaftsjahr 2022/2023 von bis zu 1.000.000 Euro ausgeschöpft werden; eine Aliquotierung hat nicht zu erfolgen.
Beispiel:
Der Einzelunternehmer A (Gewinnermittlung gemäß § 5 Abs. 1 EStG 1988) bilanziert zu einem vom Kalenderjahr abweichenden Bilanzstichtag (Wirtschaftsjahr 1.4.-31.3.). Im Jänner 2023 tätigt A für Zwecke des Investitionsfreibetrages begünstigte Anschaffungen in Höhe von 1.200.000 Euro. A kann für diese Anschaffungen des Wirtschaftsjahres 2022/2023 den Investitionshöchstbetrag von 1.000.000 Euro voll ausschöpfen; eine Aliquotierung des Investitionshöchstbetrages (auf die Monate Jänner bis März 2023) hat nicht zu erfolgen.
9.2.5 Nachversteuerung
9.2.5.1 Gewinnerhöhender Ansatz
3823
Scheiden Wirtschaftsgüter, für die der Investitionsfreibetrag geltend gemacht worden ist, vor Ablauf der Frist von vier Jahren (Rz 3814 ff) aus dem Betriebsvermögen aus (zB Verkauf oder Entnahme des Wirtschaftsgutes) oder werden sie ins Ausland – ausgenommen im Falle der entgeltlichen Überlassung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einen Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes – verbracht, gilt Folgendes:
- Der Investitionsfreibetrag ist im Jahr des Ausscheidens oder des Verbringens insoweit gewinnerhöhend anzusetzen (Nachversteuerung).
- Im Falle der – entgeltlichen (zB Veräußerung, Umgründung) oder unentgeltlichen (zB Schenkung) – Übertragung eines Betriebes vor Ablauf der Behaltefrist geht die Nachversteuerungshängigkeit jedoch auf den Rechtnachfolger über. Der Rechtsnachfolger hat den gewinnerhöhenden Ansatz vorzunehmen, wenn bei ihm vor Ablauf der Behaltefrist ein die Nachversteuerung auslösendes Ereignis verwirklicht wird.
- Im Falle des Ausscheidens infolge höherer Gewalt oder behördlichen Eingriffs unterbleibt der gewinnerhöhende Ansatz.
3824
Im Falle des Ausscheidens eines Wirtschaftsgutes infolge höherer Gewalt oder behördlichen Eingriffs unterbleibt die Nachversteuerung des Investitionsfreibetrages.
Die Bestimmung des § 12 Abs. 5 EStG 1988, wonach dem Ausscheiden durch behördlichen Eingriff das Ausscheiden zur Vermeidung eines solchen nachweisbar unmittelbar drohenden Eingriffes gleichgestellt wird, ist auf § 11 Abs. 5 Z 3 EStG 1988 analog anzuwenden. Der Investitionsfreibetrag steht in diesen Fällen auch dann zu, wenn das Wirtschaftsgut bereits im Jahr der Anschaffung oder Herstellung ausscheidet, es im Anlagenverzeichnis bzw. in der Anlagenkartei also nie ausgewiesen war.
Zur höheren Gewalt siehe Rz 3864 ff.
3825
Eine bloße Änderung in der betrieblichen Verwendung des Wirtschaftsgutes führt nicht zur Nachversteuerung des Investitionsfreibetrages.
3826
Im Fall der Betriebsaufgabe vor Ablauf der Behaltefrist kommt es zu einer Nachversteuerung des geltend gemachten Investitionsfreibetrages zu Gunsten des Aufgabegewinnes. Bei entgeltlicher oder unentgeltlicher (Teil-)Betriebsübertragung unter Mitübertragung des Wirtschaftsgutes, für das der IFB geltend gemacht wurde, hat der Rechtsnachfolger bis zum Ablauf der Behaltefrist das Wirtschaftsgut im Betriebsvermögen zu belassen, andernfalls hat der Rechtsnachfolger die auf ihn übergehende Nachversteuerungsverpflichtung vorzunehmen (Rz 3823).
9.2.5.2 Behaltefrist
3827
Die Behaltefrist beträgt vier Jahre (nicht Wirtschaftsjahre) und läuft von Tag zu Tag. Sie beginnt mit dem der Anschaffung oder Herstellung folgenden Tag und endet vier Kalenderjahre nach diesem Tag.
Bei Teilanschaffungs- oder Teilherstellungsvorgängen beginnt die Frist mit dem der Beendigung des gesamten Investitionsvorgangs folgenden Tag, und zwar auch dann, wenn ein Investitionsfreibetrag bereits von den Teilbeträgen der Anschaffungs- oder Herstellungskosten in Anspruch genommen wird.
Nachträgliche Anschaffungs- oder Herstellungskosten, die im Jahr ihres Anfallens für Zwecke des Investitionsfreibetrages zu berücksichtigen sind (siehe Rz 3820), lösen insoweit einen neuen (gesonderten) Fristenlauf aus.
Die Anpassung eines Investitionsfreibetrages auf Grund nachträglich geänderter Anschaffungs- oder Herstellungskosten im Jahr der ursprünglichen Anschaffung oder Herstellung im Wege eines rückwirkenden Ereignisses (siehe Rz 3820) löst hingegen keinen neuen (gesonderten) Fristenlauf aus.
3828
Die Behaltefrist für den Investitionsfreibetrag läuft bei einer unter das UmgrStG fallenden Betriebsübertragung zu Buchwerten beim umgründungsbedingten Rechtsnachfolger grundsätzlich weiter (vgl. § 11 Abs. 5 Z 2 EStG 1988). Der umgründungsbedingte Rechtsnachfolger hat den gewinnerhöhenden Ansatz vorzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Umgründung die Behaltefrist noch nicht abgelaufen ist und in der Sphäre des Rechtsnachfolgers ein die Nachversteuerung auslösendes Ereignis eintritt. Dabei ist nicht zwischen Umgründungen unter Einzel- und Gesamtrechtsnachfolge zu unterscheiden. Siehe dazu näher UmgrStR 2002 Rz 123. Zu den Auswirkungen von rückbezogenen Maßnahmen im Sinne des § 16 Abs. 5 UmgrStG auf Behaltefrist und Nachversteuerung siehe weiters UmgrStR 2002 Rz 923a und Rz 926e.
9.2.6 Ausweis
3829
Ein bilanzieller Ausweis des Investitionsfreibetrages erfolgt weder unternehmensrechtlich noch steuerrechtlich (anders noch der mit 2001 ausgelaufene IFB); die Geltendmachung des Investitionsfreibetrages erfolgt außerbilanziell.
Voraussetzungen für die Geltendmachung des Investitionsfreibetrages sind:
- Der Investitionsfreibetrag wird in der Steuererklärung oder Feststellungserklärung an der dafür vorgesehenen Stelle ausgewiesen.
- Bei Wirtschaftsgütern, für die der Investitionsfreibetrag geltend gemacht wird, ist dieser im Anlageverzeichnis bzw. in der Anlagekartei auszuweisen. Die Verzeichnisse sind der Abgabenbehörde auf Verlangen vorzulegen.
Die Berücksichtigung des Investitionsfreibetrages ist nicht an den Eintritt der (ersten) Rechtskraft gebunden; für Änderungen nach Eintritt der Rechtskraft gelten die allgemeinen Regelungen der BAO.
Randzahlen 3830 bis 3860: derzeit frei
9.3 Übertragung stiller Reserven, Übertragungsrücklage und steuerfreier Betrag
9.3.1 Wirkungsweise
3861
Die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines neu angeschafften (hergestellten) Wirtschaftsgutes des Anlagevermögens werden um die stille(n) Rücklage(n) des (der) ausgeschiedenen Wirtschaftsgutes(-güter) vermindert und damit eine sofortige Versteuerung der aufgedeckten stillen Reserve(n) verhindert. Stille Reserve ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem Erlös und dem Restbuchwert (nach laufender Abschreibung) des ausgeschiedenen Wirtschaftsgutes. Veräußerungskosten sind als laufender Aufwand zu behandeln und kürzen nicht den Unterschiedsbetrag. Dies gilt nicht für Veräußerungskosten bei Grundstücksveräußerungen, die nur auf Grund der Anordnung des § 4 Abs. 3a Z 2 EStG 1988 abzugsfähig sind (zB Kosten der Selbstberechnung). In diesem Fall ergibt sich die übertragbare stille Reserve aus dem Unterschiedsbetrag zwischen dem Erlös und der Summe aus dem Restbuchwert (nach laufender Abschreibung) und den gemäß § 4 Abs. 3a Z 2 EStG 1988 abzugsfähigen Aufwendungen und Minderbeträgen aus Vorsteuerberichtigungen.
Beispiel:
A veräußert einen als Lagerplatz genutzten Grund und Boden um 40.000 Euro. Der Buchwert des Grund und Bodens beträgt 25.000 Euro. Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinnes für die Grundstücksveräußerung werden die Kosten für die Selbstberechnung und Entrichtung der ImmoESt in Höhe von 500 Euro abgezogen, sodass der steuerpflichtige Gewinn 14.500 Euro beträgt.
Sollen auf einen ersatzweise angeschafften Grund und Boden die stillen Reserven des veräußerten Grund und Bodens übertragen werden, sind auch diese stillen Reserven um die Kosten der Selbstberechnung und Übermittlung bei Ermittlung der stillen Reserven zu berücksichtigen. Die übertragbaren stillen Reserven betragen daher 14.500 Euro und nicht 15.000 Euro.
Aufgedeckte stille Reserven können teilweise sofort versteuert und teilweise übertragen werden. Der bei teilweiser Übertragung verbleibende Rest kann entweder einer offenen Rücklage zugeführt oder versteuert werden. Eine Übertragung von stillen Reserven ist im selben Wirtschaftsjahr auch auf vor der Veräußerung angeschaffte Wirtschaftsgüter zulässig.
3861a
Eine Übertragung stiller Reserven (Bildung eines steuerfreien Betrages nach § 12 EStG 1988) ist bei Anwendung der LuF-PauschVO 2011 sowie der LuF-PauschVO 2015 nicht möglich.
Eine systematisch korrekte Anwendung des § 12 EStG 1988 erfordert die steuerliche (Nach)Erfassungsmöglichkeit der zunächst unversteuert belassenen stillen Reserven, weil § 12 EStG 1988 keine endgültige Entsteuerung, sondern nur einen Besteuerungsaufschub vorsieht.
Die LuF-PauschVO 2011 sowie die LuF-PauschVO 2015 sieht – vom Nebenerwerb abgesehen – für die Gewinnermittlung hinsichtlich der verschiedenen land- und forstwirtschaftlichen Betriebszweige ausschließlich eine Voll- oder Teilpauschalierung vor. Gemäß § 1 Abs. 1 LuF-PauschVO 2011 bzw. LuF-PauschVO 2015 ist die Anwendung der Verordnung bloß auf einzelne Betriebszweige oder einzelne betriebliche Tätigkeiten unzulässig.
Nach dieser Systematik der Verordnung kann somit im Rahmen der Pauschalierung keine (Nach)Erfassung der steuerfrei belassenen stillen Reserven erfolgen, weil die Steuerbemessungsgrundlage entweder auf dem Einheitswert oder den Betriebseinnahmen basiert. Im Ergebnis blieben die unversteuerten stillen Reserven bei Anwendung der Pauschalierung systemwidrig stets unversteuert.
Da eine Kombination von pauschaler und nicht pauschaler Gewinnermittlung im Anwendungsbereich der LuF-PauschVO 2015 (zu Rechtsgeschäften, die nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen siehe Rz 3861b) nicht möglich ist, hat § 12 EStG 1988 bei der Gewinnermittlung im Rahmen der LuF-Pauschalierung keinen Anwendungsbereich.
3861b
Bei Anwendung der LuF-PauschVO 2011 bzw. LuF-PauschVO 2015 (BGBl. II Nr. 125/2013 idF BGBl. II Nr. 449/2022) sind von der Pauschalierung die regelmäßig im Betrieb anfallenden Rechtsgeschäfte und Vorgänge erfasst. Im Unterschied zu der in größeren zeitlichen Abständen erfolgenden Erneuerung des Maschinenparks, die in den Anwendungsbereich der LuF-PauschVO 2011 bzw. LuF-PauschVO 2015 fällt (siehe dazu Rz 4175), stellt die Veräußerung und Anschaffung von Grundstücken kein regelmäßiges Rechtsgeschäft dar (siehe Rz 4157a). Die Einkünfte aus Grundstücksveräußerungen unterliegen grundsätzlich dem besonderen Steuersatz und sind nicht Teil des Gesamtbetrages der Einkünfte und des Einkommens im Sinne des § 33 EStG 1988; sie sind daher immer gesondert zu ermitteln, wobei die Übertragung stiller Reserven (Bildung eines steuerfreien Betrages) nach § 12 EStG 1988 zulässig ist.
9.3.2 Ausscheiden eines Wirtschaftsgutes
9.3.2.1 Veräußerung, Veräußerungserlös
3862
Veräußerung bedeutet Ausscheiden aus dem Betriebsvermögen gegen Entgelt (zB Verkauf, Tausch, Ausscheiden durch höhere Gewalt, Enteignung, Tilgung von Wertpapieren, Einziehung von Aktien bei effektiver Kapitalherabsetzung). Die Entnahme von Wirtschaftsgütern (siehe Rz 2476 ff) ist kein Veräußerungsvorgang. Es ist jedoch nicht schädlich, wenn das Wirtschaftsgut seinerzeit im Wege einer Einlage dem Betriebsvermögen zugeführt worden ist. Auch wenn bei einem schwebenden Dauervertrag (zB Mietrecht) Anschaffungskosten nicht zu bilanzieren waren, ist eine aufgedeckte stille Reserve übertragbar. Das Aktivierungsverbot nach § 4 Abs. 1 EStG 1988 und der Umstand, dass gemäß § 13 EStG 1988 vom Wahlrecht der Sofortabschreibung Gebrauch gemacht worden ist, ändern nichts an der Übertragbarkeit der bei der Veräußerung des Wirtschaftsgutes aufgedeckten stillen Reserve.
3863
Veräußerungserlös ist der beim Ausscheiden des Wirtschaftsgutes zufließende Betrag. Auch wenn auf Grund einer Neuwertversicherung die Vergütung weit über dem Zeitwert liegt, ist diese als maßgeblicher Veräußerungserlös zu betrachten (VwGH 14.5.1991, 91/14/0025).
9.3.2.2 Höhere Gewalt, behördlicher Eingriff
3864
Für Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die zufolge höherer Gewalt, durch behördlichen Eingriff oder zur Vermeidung eines nachweisbar unmittelbar drohenden Eingriffes ausscheiden, gelten die Behaltefristen (siehe Rz 3876 ff) nicht. Unter höherer Gewalt ist ein von außen einwirkendes Ereignis zu verstehen, das vom Steuerpflichtigen nicht zu verantworten ist, auch durch äußerste Sorgfalt nicht zu verhindern war und keine typische Betriebsgefahr darstellt. Ein Verschulden oder unsachgemäße Behandlung und Pflege schließt das Vorliegen von höherer Gewalt aus (VwGH 8.6.1979, 1340/78; VwGH 25.3.1966, 1564/65); dies gilt auch dann, wenn eine Handlung dem Rechtsvorgänger zuzurechnen ist (VwGH 14.9.1956, 0059/54). Der Begriff der höheren Gewalt trifft auch für den Bereich des § 37 Abs. 6 EStG 1988 zu (siehe Rz 7334).
3865
Für den Nachweis des drohenden behördlichen Eingriffes (siehe dazu Rz 7371) genügt es, wenn sich aus den entsprechenden Unterlagen ergibt, dass die Veräußerung an die Gebietskörperschaft der Vermeidung des drohenden Eingriffes gedient hat.
3866
Höhere Gewalt liegt nicht vor, wenn eine Gebietskörperschaft als Grundeigentümer einen Kündigungsgrund geltend gemacht hat, den auch jeder private Eigentümer hätte geltend machen können (VfGH 24.6.1966, B 3/66).
3867
Stille Rücklagen können bei Ausscheiden durch höhere Gewalt nur insoweit entstehen, als die Entschädigung für das untergegangene Wirtschaftsgut selbst geleistet wird und nicht für Schäden, die Folge des Ausscheidens sind (zB Aufräumungskosten, entgangener Gewinn).
9.3.3 Übertragungsmöglichkeiten
3868
Die nach der Übertragung verbleibenden Beträge gelten als Anschaffungskosten und bilden somit die Basis für die Berechnung der AfA, für die Dotierung eines investitionsbedingten Gewinnfreibetrages usw. Stille Reserven können auch von den in der jeweiligen Bilanz zu aktivierenden Teilanschaffungs- oder Teilherstellungskosten abgezogen werden.
9.3.3.1 Sonstige körperliche und unkörperliche Wirtschaftsgüter
3869
Stille Reserven, die aus sonstigen körperlichen Wirtschaftsgütern (körperliche Wirtschaftsgüter mit Ausnahme von Grundstücken im Sinne des § 30 Abs. 1 EStG 1988) stammen, dürfen nur auf sonstige körperliche Wirtschaftsgüter übertragen werden. Ebenso verhält es sich bei unkörperlichen Wirtschaftsgütern. Nutzungsrechte (zB Mietrechte, Servitute, Fruchtgenussrechte) sind unkörperliche Wirtschaftsgüter. Wird durch die Einräumung eines Nutzungsrechtes an einem Wirtschaftsgut jedoch wirtschaftliches Eigentum begründet, hat sich die Beurteilung am Wirtschaftsgut selbst zu orientieren. Zur Abgrenzung der körperlichen Wirtschaftsgüter von den unkörperlichen siehe im Übrigen Rz 454.
Rechtslage für Übertragungen stiller Reserven vor dem 1.4.2012
Für Übertragungen stiller Reserven auf körperliche Wirtschaftsgüter vor dem 1.4.2012 besteht keine Einschränkung hinsichtlich stiller Reserven aus der Veräußerung von Gebäuden.
9.3.3.2 Besonderheiten
3870
Die Übertragung stiller Reserven auf die Anschaffungskosten von Betrieben bzw. Teilbetrieben, von Beteiligungen an Personengesellschaften und von Finanzanlagen (siehe Rz 628) ist nicht zulässig. Ebenso können stille Reserven nicht übertragen werden, die aus der Veräußerung von Betrieben bzw. Teilbetrieben oder von Beteiligungen an Personengesellschaften stammen. Dasselbe gilt auch für stille Reserven, die durch eine Betriebsaufgabe aufgedeckt werden. Die Reservenübertragung bezweckt ausschließlich die Förderung der echten Ersatzbeschaffung von Ausrüstungsgütern im aufrechten Betrieb. Daher steht die Veräußerung aller wesentlichen Betriebsgrundlagen an verschiedene Erwerber der Reservenübertragung entgegen (VwGH 08.02.2007, 2006/15/0044). Ebenfalls nicht zulässig ist eine Übertragung stiller Reserven von Wirtschaftsgütern eines Betriebes auf Wirtschaftsgüter aus einem anderen Betrieb desselben Steuerpflichtigen.
Wirtschaftsgüter, auf welche stille Reserven oder Übertragungsrücklagen übertragen werden, müssen für eine inländische Betriebstätte angeschafft oder hergestellt worden sein.
Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 13.3.2003, G 334/02, im § 12 Abs. 3 EStG 1988 die Wortfolge „und von Finanzanlagen“ mit Ablauf des 31. Dezember 2003 aufgehoben und ausgesprochen, dass die aufgehobene Bestimmung für vor dem 31. Dezember 1996 getätigte Anschaffungen nicht mehr anzuwenden ist (Kundmachung BGBl. I Nr. 22/2003).
Das 1996 eingeführte Übertragungsverbot stiller Reserven auf Finanzanlagen wurde durch das Budgetbegleitgesetz 2003 ab 1. Jänner 2004 wieder in Kraft gesetzt. Damit ist das Übertragungsverbot stiller Reserven auf Finanzanlagen – mit Ausnahme der VfGH-Anlassfälle – unverändert wirksam.
3871
Die Übertragung auf Teilherstellungskosten ist zulässig.
3872
Eine Übertragung stiller Reserven auf Anschaffungskosten von Grund und Boden ist nur zulässig, wenn auch die stillen Reserven aus der Veräußerung von Grund und Boden stammen. Stille Reserven aus Grund und Boden sind auch auf Gebäude übertragbar.
Eine Übertragung stiller Reserven auf Anschaffungskosten von Gebäuden ist nur zulässig, wenn auch die stillen Reserven aus der Veräußerung von Gebäuden oder Grund und Boden stammen.
Eine Übertragung stiller Reserven aus körperlichen Wirtschaftsgütern auf Anschaffungskosten eines als Wirtschaftsgut zu aktivierenden Aufgriffs- bzw. Optionsrechtes ist nicht zulässig, weil es sich beim Aufgriffs- bzw. Optionsrecht um ein unkörperliches Wirtschaftsgut handelt.
Rechtslage für Übertragungen stiller Reserven vor dem 1.4. 2012
Für eine Übertragung stiller Reserven auf Anschaffungskosten von Grund und Boden vor dem 1.4.2012 ist zusätzlich zu den sonstigen Voraussetzungen die Gewinnermittlung nach § 5 Abs. 1 EStG 1988 erforderlich. Stille Reserven aus Grund und Boden sind auch auf andere körperliche Wirtschaftsgüter übertragbar.
3872a
Handelt es sich bei dem veräußerten Grund und Boden, dessen stille Reserven übertragen werden sollen, um Altvermögen im Sinne des § 30 Abs. 4 EStG 1988, können die zu übertragenden stillen Reserven auch pauschal ermittelt werden. Mit der Reservenübertragung wird das Wahlrecht bezüglich der pauschalen Gewinnermittlung ausgeübt; eine nachträgliche Änderung der Methode der Ermittlung der übertragenen stillen Reserven im Falle der späteren Veräußerung des Ersatzwirtschaftsgutes ist nicht zulässig.
3873
Wird auf ein bebautes Grundstück übertragen, so kann eine Aufteilung analog den entsprechenden Anschaffungskosten vorgenommen werden. Entscheidend ist die Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes, auf das die stille Reserve übertragen werden soll (bebautes Grundstück), zum Bilanzstichtag. Da es sich aber bei einem bebauten Grundstück um zwei selbständige Wirtschaftsgüter handelt, können die stillen Reserven (Grund und Boden und Gebäude) auch nur auf das Gebäude übertragen werden.
9.3.4 Ausweis der Rücklage
3874
Rechtslage für Wirtschaftsjahre vor 2016:
Die Übertragung stiller Reserven bzw. die Bildung einer entsprechenden Rücklage muss für Wirtschaftsjahre vor 2016 bereits in der UGB-Bilanz erfolgen (siehe auch Rz 2467 ff, zur Bilanzänderung siehe Rz 653).
Rechtslage für Wirtschaftsjahre ab 2016:
Die Übertragung stiller Reserven bzw. die Bildung einer entsprechenden Rücklage kann für Wirtschaftsjahre ab 2016 bei der Gewinnermittlung gemäß § 5 Abs. 1 EStG 1988 unabhängig von der Behandlung im unternehmensrechtlichen Jahresabschluss ausschließlich in der Steuerbilanz – somit im Wege der Mehr-Weniger-Rechnung zur UGB-Bilanz – geltend gemacht werden.
Erfolgt die Übertragung der stillen Reserven auf ein neu angeschafftes Wirtschaftsgut, ist dieser Umstand für steuerliche Zwecke (durch einen entsprechenden Vermerk) im Anlageverzeichnis gesondert in Evidenz zu halten (§ 12 Abs. 1 Satz 2 EStG 1988 idF RÄG 2014). Es bestehen keine Bedenken, wenn bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG 1988 die Ausführungen zu § 5 EStG 1988 sinngemäß angewendet werden.
9.3.4.1 Nachträgliche Geltendmachung
3875
Die nachträgliche Geltendmachung stellt eine Bilanzänderung dar, die den Regeln des § 4 Abs. 2 EStG 1988 unterliegt (VwGH 20.12.1994, 94/14/0086). Zur Bilanzänderung und Bilanzberichtigung siehe Rz 637 ff.
9.3.5 Behaltefristen
3876
Die Behaltefrist beträgt grundsätzlich sieben Jahre.
3877
Für folgende Wirtschaftsgüter ist die Behaltefrist von 15 Jahren vorgesehen:
- Grundstücke, auf deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten stille Reserven übertragen wurden und
- Gebäude, die iSd § 8 Abs. 2 EStG 1988 oder vorzeitig iSd EStG 1972 abgeschrieben wurden.
9.3.5.1 Berechnung der Behaltefristen
3878
Für die Berechnung der Behaltefrist gilt das Stichtagsprinzip. Maßgeblich ist somit der Zeitraum zwischen dem Tag der tatsächlichen Anschaffung oder Herstellung und dem Tag des Ausscheidens. Es kommt nicht auf die Betriebszugehörigkeit allein an, sondern es muss das Wirtschaftsgut auch während der gesamten Behaltefrist demselben Steuerpflichtigen gehört haben und Anlagevermögen gewesen sein (ua. VfGH 20.6.1983, B 33/80).
3879
Im Falle der Buchwertfortführung (siehe dazu auch Rz 2531) laufen die Behaltefristen des Rechtsvorgängers weiter (unabhängig davon, ob die unentgeltliche Betriebsübertragung im Rahmen einer Einzel- oder einer Gesamtrechtsnachfolge erfolgt; VwGH 18.2.2021, Ra 2019/15/0052).
9.3.5.1.1 Berechnung bei bebauten Grundstücken
3880
Bei bebauten Grundstücken handelt es sich um zwei selbständige Wirtschaftsgüter. Daher ist die Behaltefrist für Grund und Boden und für das Gebäude jeweils gesondert zu berechnen. Für Zwecke der Ermittlung der auf den Grund und Boden entfallenden stillen Reserven zählen zum Grund und Boden auch Einrichtungen wie Kanalisation, Umzäunungen, Befestigungseinrichtungen usw. Wurde ein Tatbestand, der zur Verlängerung der Behaltefrist auf 15 Jahre führt, in Bezug auf einen Teil des Grund und Bodens oder einen Teil des Gebäudes gesetzt, dann verlängert sich die Behaltefrist jeweils für den ganzen Grund und Boden bzw. für das ganze Gebäude auf 15 Jahre.
3881
Wird ein bebautes Grundstück veräußert, ist zur Ermittlung der auf Grund und Boden und Gebäude entfallenden stillen Reserven der Veräußerungserlös im Verhältnis der Verkehrswerte auf Grund und Boden und Gebäude aufzuteilen (siehe Rz 2613).
3882
Für die Beurteilung der Zulässigkeit der Übertragung stiller Reserven ist die Behaltefrist gemäß § 12 Abs. 3 EStG 1988 für Grund und Boden und Gebäude gesondert zu berechnen. Dabei ist immer auf den Zeitpunkt der Anschaffung bzw. Herstellung des jeweiligen Wirtschaftsgutes abzustellen.
Dies gilt auch für Wirtschaftsgüter, auf die eine Übertragung stiller Reserven vor dem 1.4.2012 stattgefunden hat.
Beispiel 1:
Im Jahre 2012 wird Grund und Boden angeschafft und darauf keine stillen Reserven übertragen. Auf die Herstellungskosten des im Jahre 2014 errichteten Gebäudes werden stille Reserven übertragen. Das bebaute Grundstück wird im Jahre 2022 veräußert.
Die Behaltefrist für den Grund und Boden beträgt 7 Jahre und jene für das Gebäude 15 Jahre.
Im Jahr 2022 befindet sich der Grund und Boden bereits seit mehr als 7 Jahren im Anlagevermögen. Das Gebäude befindet sich ebenfalls seit mehr als 7 Jahren im Anlagevermögen, allerdings beträgt die Behaltefrist für das Gebäude 15 Jahre. Daher können lediglich die stillen Reserven des Grund und Bodens auf Grund und Boden und/oder Gebäude übertragen werden.
Beispiel 2:
Im Jahr 2012 wird Grund und Boden angeschafft. Im Zuge der Anschaffung werden stille Reserven auf den Grund und Boden übertragen. 2014 wird ein Gebäude ohne Übertragung stiller Reserven errichtet. Das bebaute Grundstück wird im Jahre 2022 veräußert.
Die Behaltefrist für den Grund und Boden beträgt 15 Jahre, für das Gebäude 7 Jahre.
Im Jahr der Veräußerung ist lediglich für das Gebäude die Behaltefrist erfüllt. Daher sind nur die stillen Reserven des Gebäudes auf Gebäude übertragbar.
Beispiel 3:
Im Jahr 2012 wird Grund und Boden angeschafft. Im Zuge der Anschaffung werden stille Reserven auf den Grund und Boden übertragen. 2014 wird ein Gebäude errichtet, wobei stille Reserven auf das Gebäude übertragen werden. Das bebaute Grundstück wird im Jahre 2028 veräußert.
Die Behaltefrist für den Grund und Boden und Gebäude beträgt jeweils 15 Jahre.
Im Jahr der Veräußerung ist lediglich für den Grund und Boden die Behaltefrist erfüllt. Daher sind nur die stillen Reserven des Grund und Bodens auf Grund und Boden und/oder Gebäude übertragbar.
Beispiel 4:
Im Jahre 1997 wird Grund und Boden angeschafft und darauf keine stillen Reserven übertragen. Auf die Herstellungskosten des im Jahre 2010 errichteten Gebäudes werden stille Reserven übertragen. Das bebaute Grundstück wird im Jahre 2013 veräußert.
Die Behaltefrist für den Grund und Boden beträgt 7 Jahre und jene für das Gebäude 15 Jahre.
Da sich der Grund und Boden im Jahre 2013 bereits mehr als 7 Jahre im Anlagevermögen befindet, können die stillen Reserven des Grund und Bodens auf Grund und Boden und/oder Gebäude übertragen werden. Die 15-jährige Behaltefrist für das Gebäude ist noch nicht erfüllt. Daher sind die stillen Reserven des Gebäudes nicht übertragbar.
9.3.6 Übertragungsrücklage
3883
Insoweit stille Reserven nicht im Jahr ihrer Bildung übertragen werden, können diese einer Übertragungsrücklage zugeführt werden. Die Übertragungsrücklage ist bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 EStG 1988 entsprechend zu bezeichnen und für steuerliche Zwecke in Evidenz zu halten (§ 12 Abs. 8 Satz 2 und 3 EStG 1988 idF RÄG 2014). Es hat daher ein Ausweis der Übertragungsrücklage in der Steuerbilanz bzw. bei der Gewinnermittlung nach § 5 Abs. 1 EStG 1988 in einer gesonderten Aufstellung zur UGB-Bilanz (Mehr-Weniger-Rechnung) zu erfolgen.
Bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG 1988 kann ein Betrag in dieser Höhe steuerfrei belassen werden (siehe Rz 3887 f).
9.3.6.1 Verwendungsfristen
3884
Die Rücklage (der steuerfreie Betrag) kann innerhalb von 12 Monaten ab dem Ausscheiden des Wirtschaftsgutes auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Anlagevermögen übertragen werden (Stichtagsprinzip). Erfolgte das Ausscheiden durch höhere Gewalt oder behördlichen Eingriff oder handelt es sich um Einkünfte aus Waldnutzungen infolge höherer Gewalt (siehe Rz 3889), verlängert sich die Übertragungsfrist auf 24 Monate. Die Verlängerung der Frist auf 24 Monate gilt ebenfalls, wenn auf Herstellungskosten von Gebäuden übertragen wird und mit der tatsächlichen Bauausführung („1. Spatenstich“) innerhalb der Frist von 12 Monaten ab dem Ausscheiden des Gebäudes begonnen wird.
3885
Für Fälle, in denen die Aufdeckung der stillen Reserve nicht im Wirtschaftsjahr des Ausscheidens des Wirtschaftsgutes erfolgt, ist der Zeitpunkt der Aufdeckung der stillen Reserve für den Fristenlauf maßgeblich. Dies gilt sowohl in Fällen, in denen die zeitliche Divergenz zwischen dem Ausscheiden des Wirtschaftsgutes und der Aufdeckung der stillen Reserve auf die Maßgeblichkeit des Zu- und Abflussprinzips zurückzuführen ist als auch in Fällen, in denen bei Bilanzierern die Gewinnrealisierung nicht im Wirtschaftsjahr des Ausscheidens des Wirtschaftsgutes eintritt (zB weil der Anspruch dem Grunde nach strittig ist).
3886
Eine frühestmögliche Übertragung ist nicht verpflichtend. Wurde eine Rücklage oder ein Teil davon nicht innerhalb der Frist verwendet, ist sie gewinnerhöhend aufzulösen. Stammen die stillen Reserven aus der Veräußerung eines mit Sondersteuersatz besteuerten Finanzvermögens oder eines Grundstückes, ist auf diese der besondere Steuersatz gemäß § 27a Abs. 1 EStG 1988 oder § 30a EStG 1988 anwendbar.
9.3.7 Steuerfreier Betrag
3887
Der steuerfreie Betrag ist in einem Verzeichnis auszuweisen, aus dem die Verwendung ersichtlich ist. Wird dieses Verzeichnis nicht mit der Steuererklärung vorgelegt, ist eine Nachfrist von zwei Wochen zu setzen.
3888
Wird bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG 1988 der Veräußerungserlös (die Entschädigungsleistung) erst in späteren Jahren vereinnahmt, so steht dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit offen, den Buchwert sofort als Betriebsausgabe abzusetzen oder nach Art eines Merkpostens zu behandeln (zum Zeitpunkt der Vereinnahmung siehe Rz 4601 ff). In beiden Fällen werden stille Reserven aufgedeckt, sobald der zugeflossene Veräußerungserlös (die zugeflossene Entschädigung) den Buchwert übersteigt (vgl. VwGH 26.6.1984, 83/14/0234). Die Frist für den Verwendungszeitraum beginnt in beiden Fällen mit dem Zeitpunkt der Aufdeckung der stillen Reserven.
Beispiel:
Im Jahr 1 wird ein Anlagegut (Buchwert nach Abschreibung 50.000, Behaltefrist erfüllt) um 80.000 veräußert. Es wird je eine Ratenzahlung für 1 und 2 von 40.000 vereinbart.
BW = Betriebsausgabe | BW = Merkposten | |
Jahr 1: | ||
Erste Rate | 40.000 | 40.000 |
Abfluss BW | 50.000 | 40.000 |
Verlust | 10.000 | 0 |
Jahr 2: | ||
Zweite Rate | 40.000 | 40.000 |
Abfluss BW | 0 | 10.000 |
Gewinn | 40.000 | 30.000 |
Bei beiden Varianten wird im Jahr 2 eine stille Reserve in Höhe von 30.000 aufgedeckt. Diese kann im Jahr 2 übertragen oder einem steuerfreien Betrag zugeführt werden, wobei in letzterem Fall die Verwendungsfrist mit dem Zufließen der zweiten Ratenzahlung zu laufen beginnt.
9.3.8 Waldnutzungen
3889
Fassung ab Veranlagung 2005:
Die Hälfte der Einkünfte aus Waldnutzungen infolge höherer Gewalt (Kalamitätsnutzung, siehe Rz 7338) gilt als übertragbare stille Reserve. Die Bildung einer Übertragungsrücklage gemäß § 12 Abs. 8 EStG 1988 ist ab 2005 ebenfalls zulässig, sofern die stillen Reserven auf Grund des Ausscheidens von Wirtschaftsgütern nach dem 31.12.2004 aufgedeckt werden und eine Übertragung im selben Wirtschaftsjahr nicht erfolgt (§ 12 Abs. 7 in Verbindung mit § 124b Z 117 EStG 1988 idF AbgÄG 2004).
Fassung ab Veranlagung 2020:
70% der Einkünfte aus Waldnutzungen infolge höherer Gewalt (Kalamitätsnutzung, siehe Rz 7338) gelten als übertragbare stille Reserve. Die Bildung einer Übertragungsrücklage gemäß § 12 Abs. 8 EStG 1988 ist ebenfalls zulässig, sofern eine Übertragung im selben Wirtschaftsjahr nicht erfolgt.
3890
Der ermäßigte Steuersatz gemäß § 37 EStG 1988 ist auf Antrag des Steuerpflichtigen auf den Teil der Einkünfte aus Waldnutzungen infolge höherer Gewalt anzuwenden, der nach Abzug des als stille Reserve behandelten Betrages und nach Vornahme eines allfälligen Verlustausgleiches verbleibt. Kann angefallenes Kalamitätsholz nicht sofort nach dem Kalamitätsereignis aufgearbeitet werden, bestehen keine Bedenken, wenn die Übertragung in einem späteren Wirtschaftsjahr vorgenommen wird. Dies gilt jedoch nur insoweit, als eine Aufdeckung der stillen Reserven innerhalb von 24 Monaten ab dem Kalamitätsereignis erfolgt und spätere Fällungen nicht in die betriebsplanmäßige Holznutzung einbezogen werden.
3891
Die anlässlich der Veräußerung eines Waldgrundstückes aufgedeckten stillen Reserven des stehenden Holzes sind übertragbar (VwGH 16.6.1987, 86/14/0188).
9.3.9 Zuschreibung
3892
Rechtslage für Wirtschaftsjahre vor 2016:
Wird in Wirtschaftsjahren vor 2016 die Übertragung stiller Reserven oder die Übertragungsrücklage durch Zuschreibung gemäß § 6 Z 13 EStG 1988 idF vor dem RÄG 2014 ganz oder teilweise rückgängig gemacht, so erhöht diese den Gewinn. Ist bereits eine Übertragung auf ein Wirtschaftsgut erfolgt, ist diese Zuschreibung für den steuerlichen Wertansatz des betreffenden Wirtschaftsgutes maßgeblich.
Rechtslage für Wirtschaftsjahre ab 2016:
Für bereits vor dem Wirtschaftsjahr 2016 unternehmensrechtlich gebildete unversteuerte Rücklagen (einschließlich Bewertungsreserven), die gemäß § 124b Z 271 EStG 1988 idF RÄG 2014 unabhängig von der Auflösung im unternehmensrechtlichen Jahresabschluss des Wirtschaftsjahres 2016 als steuerliche Rücklagen weitergeführt wurden, gilt dies weiterhin, weil auf diese § 6 Z 13 erster Satz EStG 1988 idF vor RÄG 2014 sinngemäß weiter anzuwenden ist.
Werden in Wirtschaftsjahren ab 2016 hingegen stille Reserven auf ein Wirtschaftsgut übertragen, gelten die um diese übertragenen stillen Reserven gekürzten Beträge als Anschaffungskosten (§ 12 Abs. 6 EStG 1988). Eine gänzliche oder teilweise Rückgängigmachung einer bereits erfolgten Übertragung stiller Reserven ist nicht möglich, weil eine Zuschreibung über die steuerlichen Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten nicht zulässig ist. Eine freiwillige gewinnerhöhende Auflösung einer ab 2016 gebildeten Übertragungsrücklage vor Ablauf der Verwendungsfristen gemäß § 12 Abs. 9 EStG 1988 ist jedoch möglich.
9.3.10 Ausschluss der Übertragbarkeit bei Körperschaften
3892a
Der Anwendungsbereich des § 12 EStG 1988 wird durch das Steuerreformgesetz 2005 auf natürliche Personen (Einzelunternehmer, Mitunternehmer als natürliche Person) eingeschränkt. Der Ausschluss von Körperschaften tritt stichtagsbezogen für stille Reserven ein, die nach dem 31. Dezember 2004 aufgedeckt werden, und zwar auch dann, wenn Anlagevermögen infolge höherer Gewalt, durch behördlichen Eingriff oder zur Vermeidung eines solchen aus dem Betriebsvermögen ausscheidet. Bis zum 31. Dezember 2004 aufgedeckte stille Reserven bleiben bei Körperschaften weiterhin übertragbar.
Beispiel:
Eine Körperschaft ermittelt ihren Gewinn nach einem abweichenden Wirtschaftsjahr vom 1.7 bis 30.6. Veräußert sie ein Wirtschaftsgut mit einem Buchwert von 1.000 am 1.9.2004 um 5.000, kann sie die stillen Reserven von 4.000 im Wirtschaftsjahr 1.7.2004 bis 30.6.2005 entweder auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines in diesem Wirtschaftsjahr erworbenen Wirtschaftsgutes des Anlagevermögens übertragen oder einer Übertragungsrücklage in der Bilanz zum 30.6.2005 zuführen.
3892b
Sind am Vermögen einer Mitunternehmerschaft natürliche Personen und Körperschaften beteiligt, können hinsichtlich der nach dem 31. Dezember 2004 aufgedeckten stillen Reserven von § 12 EStG 1988 nur die natürlichen Personen einheitlich (siehe Rz 5955) Gebrauch machen.
Die stillen Reserven werden dann nicht im Gesellschaftsvermögen übertragen bzw. einer offenen steuerfreien Rücklage zugeführt, sondern sind die Wertkorrekturen zu den Ansätzen in der Gesellschaftsbilanz in einer Ergänzungsbilanz vorzunehmen.
Beispiel:
An einer GmbH & Co KG sind am Vermögen die GmbH A zu 60% und die natürliche Person B zu 40% beteiligt. Im Wirtschaftsjahr 08 wird ein im Gesellschaftsvermögen stehendes Anlagegut mit einem Buchwert von 1.000 um 5.000 veräußert. Die stillen Reserven werden entweder auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines im Wirtschaftsjahr 08 erworbenen Anlagegutes übertragen oder einer Übertragungsrücklage zugeführt.
Im ersten Halbjahr eines Wirtschaftsjahres wird von der KG ein neues Anlagegut um 10.000 mit einer Nutzungsdauer von 10 Jahren angeschafft.
Gesellschaftsebene
- Auf Ebene der Gesellschaft sind die aufgedeckten stillen Reserven von 4.000 einnahmenwirksam zu erfassen.
- Das neu erworbene Anlagegut wird in der Bilanz der KG mit 10.000 aktiviert und jährlich entsprechend der Nutzungsdauer mit 1.000 abgeschrieben.
Gesellschafterebene
- Auf den Gesellschafter B entfallen 40% der stillen Reserven des veräußerten Anlagegutes.
- Macht der Gesellschafter B von § 12 EStG 1988 Gebrauch, ist der Betrag von 1.600 (= 40% von 4.000) bei ihm zunächst als Sonderbetriebsausgabe gewinnmindernd zu berücksichtigen.
- In weiterer Folge werden die stillen Reserven entweder auf die Anschaffungskosten des im selben Wirtschaftsjahr erworbenen Anlagegutes übertragen oder einer Übertragungsrücklage in der Ergänzungsbilanz zugeführt.
- Im Fall der Übertragung im selben Wirtschaftsjahr ist in eine Ergänzungsbilanz des Gesellschafters B ein passiver Ausgleichsposten „Minderwert Anlagegut“ (Bewertungsreserve § 12 EStG 1988) in Höhe von 1.600 einzustellen, der analog der Abschreibung der Anschaffungskosten jenes Anlagegutes, auf das die stillen Reserven übertragen wurden, verteilt auf zehn Jahre jährlich gewinnerhöhend als Sonderbetriebseinnahme zu erfassen ist. Dadurch wird die für den Gesellschafter B zu hohe Abschreibung in der Gesellschaftsbilanz korrigiert.
- Wird die Übertragungsrücklage in einer Ergänzungsbilanz gebildet, ist im Fall der Übertragung diese auf den passiven Ausgleichsposten „Minderwert Anlagegut“ (Bewertungsreserve § 12 EStG 1988) umzubuchen. Für die Auflösung gilt der erste Punkt.
- Scheidet dieses Wirtschaftsgut vor Ablauf der Nutzungsdauer aus dem Betriebsvermögen der KG aus, ist der noch verbleibende Minderwert vom Gesellschafter B im Wirtschaftsjahr des Ausscheidens des Wirtschaftsgutes zur Gänze als Sonderbetriebseinnahme zu erfassen.
3892c
Sind Körperschaften als bloße Arbeitsgesellschafter nicht am Vermögen der Mitunternehmerschaft beteiligt, sind aufgedeckte stille Reserven den natürlichen Personen zur Gänze zuzurechnen.
3892d
Gehen Übertragungsrücklagen (steuerfreie Beträge) auf eine Körperschaft über, erfolgt nur dann keine Nachversteuerung, wenn die stillen Reserven vor dem 1. Jänner 2005 aufgedeckt wurden. Bei Einbringung eines ganzen Betriebes nach Art. III UmgrStG sind Übertragungsrücklagen (steuerfreie Beträge) aus nach dem 31. Dezember 2004 aufgedeckten stillen Reserven zum Einbringungsstichtag jedenfalls nachzuversteuern. Wird nur ein Teilbetrieb nach Art. III eingebracht, kann die Übertragungsrücklage im verbleibenden Restbetrieb zurückbehalten werden. Bei Zusammenschlüssen nach Art. IV UmgrStG ist insoweit eine Nachversteuerung nicht vorzunehmen, als die Rücklagen (steuerfreien Beträge) weiterhin natürlichen Personen zuzurechnen sind.